Benachteiligung des Pflichtteilsberechtigten bei der Bewertung des Nachlassvermögens
Dieser Nachteil setzt sich fort, wenn es um die Bewertung des Nachlassvermögens geht, aufgrund dessen der Pflichtteilsanspruch zu berechnen ist und in den Nachlass „nur“ eine Hälfte zum Beispiel des Einfamilienhauses oder der von den Ehegatten bewohnten Eigentumswohnung fällt. Der Nachteil entsteht dadurch, dass der Wertgutachter die Aufgabe hat, den objektiven Verkehrswert zu ermitteln, den ein solcher hälftigen Miteigentumsanteil hat. Der objektive Verkehrswert ist der Betrag, den ein gedachter Käufer „auf dem Markt“ – also ohne irgend eine besondere Verbindung zum Grundstück oder zum Verkäufer – bereit ist, für diesen Gegenstand zu bezahlen.
Nur derjenige, der eine besondere Verbindung entweder zum Eigentümer der anderen Miteigentumshälfte (häufig wird dies der überlebende Ehegatte des Erblassers sein) oder zu der Immobilie hat (also zum Beispiel die Kinder des Erblassers), wird bereit sein, 50 % des Wertes der Gesamtimmobilie für einen halben Miteigentumsanteil zu bezahlen.
Ein „objektiver Dritter“ wird sich hingegen fragen, welchen Verwendungszweck er für einen derartigen Miteigentumsanteil an einer Wohnung haben sollte. Eine gemeinsame Nutzung mit dem anderen Miteigentümer kommt in der Regel nicht infrage. Eine wirtschaftliche Verwertung wäre nur bei gemeinsamem Verkauf an einen Dritten oder auf dem Weg der Teilungsversteigerung möglich. Hier liegen also erhebliche Aufgaben, Aufwand und Kosten, bevor der Wert der hälftigen Miteigentumsanteile wieder in Geld umgesetzt ist.
Wer als Kaufinteressent derartigen Aufwand vor sich sieht, wird vom Verkäufer verlangen, dass dieser den Kaufpreis gegenüber dem üblichen Wert reduziert, sonst kommt es eben nicht zum Verkauf.
Auf der Basis dieser Realität wird in der juristischen Literatur begründeter maßen vertreten, dass eine Bewertung eines hälftigen Eigentumsanteils nicht zu 50 % des Wertes der gesamten Immobilie erfolgen könne. Vielmehr müsse ein deutlicher Abschlag erfolgen.
BGH hat sich mit der Berechnung des Pflichtteils beschäftigt
Zu dieser Thematik hat sich nun erstmals der BGH erklärt (13.5.2015 – IV ZR 138/14;), und zwar in einem Sinne, der für den Pflichtteilsberechtigten erfreulich sein dürfte.
Der BGH stellt darauf ab, dass dann, wenn der Alleinerbe des Erblassers vor dem Erbfall schon zu 50 % Miteigentümer der Immobilie war und nun, durch den Erbfall, die zweite Hälfte hinzu erlangt, als jetziger Alleineigentümer der gesamten Immobilie unproblematisch den vollen Wert auch der zweiten Hälfte durch Verkauf der gesamten Immobilie realisieren kann. Bei dieser Situation sei es nicht zu vertreten, dass zulasten des Pflichtteilsberechtigten die allein in den Nachlass fallende Hälfte mit einem Abschlag abgewertet werde. Dabei spiele es auch keine Rolle, dass eventuell der nunmehrige Alleineigentümer die Immobilie verkaufen müsse, um die Pflichtteilsansprüche zu befriedigen. Das sei „ein regelmäßig mit Erbschaften verbundenes Risiko“.
MEIN TIPP:
Zu beachten ist, dass der BGH hier über eine spezielle Situation entschieden hat: die Entscheidung gilt allein für den Fall, dass durch den Erbfall derjenige, der den oder die anderen Miteigentumsanteile an der Immobilie sein eigen nennt, nun auch den restlichen Anteil erhält.
Fallen aber die Eigentümer auseinander – also beispielsweise: Eigentümer der nicht in den Nachlass fallenden Hälfte ist die Ehefrau des Erblassers, Erwerber der in den Nachlass fallenden Hälfte ist ein anderes Kind des Erblassers – ist zunächst einmal eine andere Situation gegeben. Wie der BGH in derartigen Situationen entscheiden wird, lässt sich im Moment nicht abschätzen, weil es stets um die Bewertung des konkreten Einzelfalles geht.
Der Wunsch des Erblassers, der einen vom Gesetz als pflichtteilsberechtigt Angesehenen „aus dem Testament herausschreibt“, indem er ihn auf den Pflichtteil setzt, ist offenkundig: diese Person soll nach dem Willen des Erblassers vom Nachlass möglichst wenig Anteil erhalten.
Ein derartiger Erblasser wird deswegen – rechtlich beraten – nach Lösungsmöglichkeiten suchen, wie er durch entsprechende Gestaltungen unter Berücksichtigung nunmehr auch dieser neuen Entscheidung des BGH durch sein Testament eine Situation schafft, bei der es bei den von den Gutachtern geforderten Abschlägen (zum Vorteil der testamentarisch berufenen Erben) verbleibt. Man darf darauf gespannt sein, wie derartige Lösungen zukünftig von der Rechtsprechung bewertet werden.