Ehepaar verfasste ein gemeinschaftliches Ehegattentestament und setzen Patenkind als Schlusserben ein
Ehefrau (F) und Ehemann (M) verfassten ein gemeinschaftliches Ehegattentestament. Für den ersten Erbfall setzten sie jeweils den anderen Ehegatten als Alleinerben ein. Für den zweiten Erbfall ordneten sie an, dass Schlusserbe ihr Patenkind (PK) sein solle und regelten:
„Diese Erbeinsetzung erfolgt in der Erwartung, dass PK uns in kranken und alten Tagen bei Bedürftigkeit pflegt und wartet. Sofern er diesen Verpflichtungen schuldhaft nicht nachkommt, soll der Überlebende auch berechtigt sein, einen anderen Erben einzusetzen. Insoweit wird ihm Testierfreiheit eingeräumt.“
Nach dem Tod des Ehemannes zog die Frau zu ihrem Patenkind
Der Ehemann verstarb zuerst, später zog F zu PK. Sie lebte dort mit diesem und seiner Familie zusammen und hatte dort ein eigenes Zimmer. Da PK beruflich oft ortsabwesend war, erhielt sie Hilfe von seiner Ehefrau und seiner Mutter.
2008 starb die Ehefrau von PK. Weil die Kräfte von F weniger wurden, schaltete PK einen ambulanten Pflegedienst zur Betreuung der F ein.
Nach einiger Zeit wurde F mit Ausnahme der Wochenenden in einer Tagespflegeeinrichtung betreut. Schließlich zog sie in ein Altenpflegeheim, in dem sie später verstarb.
Nach dem Tod der Frau erklärte die Nichte die Anfechtung des gemeinschaftlichen Testaments
PK beantragte die Erteilung eines Erbscheins, durch den er zum Alleinerben ausgewiesen werden sollte.
Die Nichte (N) der Erblasserin erklärte die Anfechtung des gemeinschaftlichen Testaments und begründete diese damit, dass PK der Pflegeverpflichtung aus dem Testament nicht nachgekommen sei.
Gegen den Feststellungsbeschluss des Nachlassgerichts legte die Nichte Beschwerde ein
Das Nachlassgericht sah die Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Erbscheins – PK als Alleinerbe – als gegeben an und erließ einen entsprechenden Feststellungsbeschluss, gegen den die Nichte N Beschwerde einlegte.
OLG Thüringen entschied: Feststellungsbeschluss sei rechtlich nicht zu beanstanden
In dem gemeinsamen Testament sei ein Änderungsvorbehalt enthalten gewesen. Aus diesem Grund sei ein Motivirrtum der Erblasser – der mit der Anfechtung hätte korrigiert werden können – nicht gegeben gewesen. Die Erblasser hätten selbst Regelungen für die verschiedenen denkbaren Entwicklungsmöglichkeiten in das Testament eingefügt. Diese Regelungen ließen sich nicht durch eine Anfechtung außer Kraft setzen.
Von N wurde auch behauptet, die F sei gar nicht mehr im Stande gewesen, von dem Änderungsvorbehalt Gebrauch zu machen, weil sie infolge Demenz die Sachverhalte nicht mehr erfassen konnte. Dazu stellte das OLG fest, dass ein Motivirrtum die Anfechtung nur dann rechtfertigte, wenn besonders schwerwiegende Gründe vorlägen, die für den Erblasser Veranlassung gewesen wären, mit Sicherheit anders zu testieren als geschehen.
Derartige Gründe seien hier nicht gegeben, denn nach dem Testament war Voraussetzung für eine Änderung ein „schuldhaftes“ Unterlassen der Pflegeverpflichtung. Das OLG würdigte dann die Leistungen des PK und stellte fest, dass diesem angesichts seines Umgangs mit der Erblasserin kein schuldhafter Verstoß angelastet werden konnte.
Anwalt rät:
In einer Fallsituation wie hier empfiehlt es sich für den potentiellen „Angreifer“ (hier: die Nichte N), wenn irgend möglich, rechtzeitig – also: in der Prüfungsphase, vor Einleitung von gerichtlichen Maßnahmen – so umfassend wie möglich zu prüfen, welcher Sachverhalt gegeben ist und insbesondere: welchen Sachverhalt die Gegenseite möglicherweise vortragen und durch Zeugenaussagen beweisen wird. Weiterhin gilt es auch, genauso sorgfältig zu schauen, welche eigenen Zeugen vorhanden sind, die bereit und in der Lage sind, die diesseitige Sichtweise durch entsprechende (wahrheitsgemäße!) Aussagen zu unterstützen.
Die klagende Nichte wusste vielleicht nur vom Aufenthalt der Erblasserin im Altenheim und meinte deswegen, dass PK der Auflage im Testament nicht entsprochen habe. Wären in einer derartigen Situation die anderen Tatsachen – Pflege durch Ehefrau und Mutter des PK, Tagespflege et cetera – rechtzeitig bekannt gewesen, hätte man noch einmal sehr genau überlegen müssen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen einer Anfechtung wirklich gegeben waren.
Dies insbesondere deswegen, weil natürlich die Ehefrau und – sofern noch am Leben – auch die Mutter des PK dessen Sichtweise der Dinge als Zeuginnen bestätigen würden.