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„SEHNSUCHT“ - in riesigen weißen Lettern prangt das Wort an den hohen Gefängnismauern der Justizvollzugsanstalt (JVA) Geldern. Auf dem Weg durch die idyllische niederrheinische Wiesenlandschaft ist es unübersehbar. Wonach sich die 571 Männer, die hinter der grauen Mauer eingesperrt sind, sehnen? Nach Freiheit, klar, aber vor allem auch nach Liebe. „Ich möchte jemanden haben, nicht allein sein, Trost finden“, beschreibt Gefängnispsychologin Monika Mittmann die Gemütslage jener, die hier einen ganz besonderen Schritt wagen: Heiraten hinter Gittern.
12 Gäste zur Trauung
„Romantisch ist das nicht“, sagt Anstaltsleiter Karl Schwers, als er den Raum für die Trauungen aufschließt. Rund 40 Jahre seines Lebens hat der 61-Jährige hinter Gittern verbracht. Auf der guten Seite -als Herr über zwei monströse Generalschlüssel, die Türen öffnen, die für die meisten hier lange verschlossen bleiben.
Eigentlich ist dies der Besucherraum: viele Tische, Stühle, ein paar Bilder an den Wänden, keine Fenster. Wenn hier eine Trauung ansteht, wird alles beiseitegeschoben. Zur Feier des Tages gibt es weiße Tischdecken, Kaffee und Kuchen. Maximal zwölf Personen, inklusive Anstaltspersonal und Standesbeamter, dürfen anwesend sein. „Das muss reichen“, sagt Anstaltsleiter Karl Schwers. „Keine Hochzeitsnacht.“
Dennoch haben im vergangenen Jahr fünf Gefangene in Geldern hinter Gittern geheiratet. Damit zählt die niederrheinische Anstalt neben der JVA Werl zu den Hochzeitshochburgen unter den Gefängnissen in NRW. Insgesamt gab es 2015 laut Landesjustizministerium 29 Eheschließungen in den 36 Anstalten. Die Zahlen sind in NRW erstmals erhoben worden - das Bundesjustizministerium hat keine.
Trauungen mit Schlagzeilen
Kriminelle, die den Bund fürs Leben in Gefangenschaft schließen, suchen nicht die Öffentlichkeit. Einige wenige spektakuläre Fälle haben in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland Schlagzeilen gemacht: 1973 heiratet eine Krankenschwester den vierfachen Kindermörder Jürgen Bartsch. Eine Friseuse verliebt sich im Gerichtssaal in den Gladbecker Geiselgangster Dieter Degowski, der 1991 unter anderem wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wird. Sie heiratet ihn.
„Die Männer im Knast sind Männer - nicht anders als die, die draußen' rumlaufen und geheiratet haben“, sagt Gefängnisseelsorger Hartmut Pleines. Ist das beruhigend? In diesen Kategorien denkt der 52 Jahre alte evangelische Pfarrer nicht. Wer ihn aufsucht, muss nicht einmal über seine Taten sprechen. Nach zweieinhalb Jahren als Gefängnisseelsorger in der JVA Geldern kommt er zu dem Schluss: „Es gibt keine besondere Spezies Mann hinter Gittern.“
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Ehe als Sicherheitsanker
Der Wunsch, im Gefängnis zu heiraten, habe auch mit Verlustängsten zutun, sagt Pfarrer Pleines. „Die Ehe als Sicherheitsanker - das funktioniert aber hinter Gittern genauso wenig wie draußen.“ Deshalb fragen die Betreuer Heiratswillige oft: „Wollen Sie wirklich, dass Ihr Hochzeitstag lebenslänglich mit dem Gefängnis verbunden bleibt?“
Eine Ehe sei nicht per se förderlich für eine stabile Beziehung oder eine günstigere Sozialprognose, sagen die Praktiker. Pfarrer Pleines denkt an schaurige Begegnungen zurück: „Es gibt auch Frauen, wo es uns schüttelt, wenn wir mit denen Kontakt haben und wo man sich fragt: Wie kriegen wir den Mann von dieser Frau los?“ Meist gelinge das aber nicht.
Der Pfarrer macht aber auch ganz andere Erfahrungen: Männer, die kategorisch Schluss machen mit ihrer Partnerin, wenn sie hinter Gitter gehen und erklären: „Das mache ich immer so - ich gehe nie mit einer Beziehung in Haft.“ Pfarrer Pleines hält das für paradox: „Sie versuchen, Schmerz zu vermeiden, indem sie ihn selbst auslösen.“
Beziehungen hinter Gittern zu pflegen und zu erhalten ist schwer - vor allem, wenn es kriselt oder man bei einem der seltenen erlaubten Gefangenenbesuche gestritten hat. Vor allem dann kommen Männer gerne zu Pfarrer Pleines. Denn nur hier können sie vertraulich telefonieren. Ansonsten würde öffentlich, dass sie gerade Stress zu Hause haben. Eine frühzeitige Entlassung setzt allerdings ein stabiles Sozialgefüge draußen voraus. Eine Zwickmühle.
Manche Männer versuchen, über Briefkontakt eine Frau zu finden. Aber was ist, wenn sich dort ein Gewaltverbrecher als lammfroher Romantiker verkauft? Alle Briefe, die die Anstalt verlassen, werden kontrolliert. „Post darf aber nur angehalten werden, wenn eine extreme Gefährdung vorliegt oder Verdacht auf eine Straftat besteht“, erläutert Anstaltsleiter Karl Schwers. Ansonsten darf bei Kontaktanzeigen drinnen genauso geschummelt werden wie draußen.
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Strenge Besuchszeiten
Eine Partnerschaft mit einem Inhaftierten ist nichts für Zartbesaitete. Zweimal im Monat Regelbesuch, eventuell noch zweimal Langzeitbesuch (LZB) und ein Familienbesuch für Gefangene, die Kinder haben - mehr ist nicht drin.
Anstaltsleiter Karl Schwers entriegelt eine weitere der unzähligen schweren Türen seiner Anstalt. In einem Hotel würden Brautpaare vielleicht ein Schild mit der Aufschrift „Hochzeitssuite“ erwarten. Hier heißt der intimste Raum „LZB 2“. Grüne Wände, schwarzes Ledersofa, kleiner Holztisch, Waschraum, Küchenecke - der Langzeitbesuchsraum versprüht den Charme eines billigen Bahnhofshotels.
Der Volksmund spricht von „Sexzellen“. „Wir stellen kein Doppelbett auf“, sagt Schwers. Immerhin gibt es frische Bettwäsche, Handtücher und Kondome. „Kürzlich hat sich einer beschwert, die seien zu klein“, amüsiert sich der schnauzbärtige Anstaltschef. Eben alles wie draußen.
Mord in Liebeszelle
An der Tür sind ein Alarmknopf und eine Gegensprechanlage. Nicht immer reicht das zur Sicherheit der Besucherinnen aus. Im April 2010 ersticht ein verurteilter Kindermörder in der JVA Remscheid seine Freundin in der Liebeszelle. In Geldern sei so etwas glücklicherweise noch nicht passiert, sagt Anstaltsleiter Karl Schwers.
„Wir lassen nicht jede Frau unbewacht allein in den Raum“, sagt Martina Stolk. Die große blonde Frau arbeitet seit neun Jahren als Sozialarbeiterin in der JVA. „Wir prüfen die Sicherheitsgefährdung -insbesondere bei Männern, die wegen Gewalt gegen Frauen verurteilt worden sind“, sagt die 37-Jährige. Viele Gespräche würden vor und nach den Langzeitbesuchen geführt.
Dabei stehe vor allem die „Förderungswürdigkeit der Sozialkontakte“ auf dem Prüfstand. Welche Beziehung wäre denn nicht förderungswürdig? „Zum Beispiel, wenn die Partnerin und der Mann beide drogensüchtig wären“, sagt Sozialarbeiterin Martina Stolk.
Wer glaubt, Mörder oder Vergewaltiger würden per se von Langzeitbesuchen ausgeschlossen, irrt. Anstaltsleiter Schwers hat in etlichen Jahrzehnten hinter Gittern gelernt: „Am schwierigsten sind die Betrüger. Die haben nach außen das gesellschaftskonformste Verhalten auf der Pfanne, sind aber am schwierigsten zu durchschauen.“
Dass manche mit Sozialkontakten hinter Gittern überfordert sind, davon zeugt die lädierte Trennscheibe im schmalen Besucherraum. Hier traf ein verzweifelter Häftling auf seine weinende Mutter. „Der ist ausgerastet“, sagt Anstaltsleiter Karl Schwers.
„Gute Vollzugsarbeit ist immer Beziehungsarbeit“
Auch für die Betreuer ist der Alltag hinter Gittern eine Herausforderung. „Gute Vollzugsarbeit ist immer Beziehungsarbeit“, sagt Schwers. Dabei komme es aber entscheidend auf die richtige Balance zwischen Zuwendung und Distanz an. Pfarrer Pleines betont: „Beziehungen, die wir hier anbieten, sind andere als Freundschaft oder Partnerschaft. Die bieten wir nicht an.“