Werbung
Kunden können sich mit dem Kauf ihrer Sonntagsbrötchen in Zukunft Zeit lassen. Bäckereien dürfen sie nach höchstrichterlichem Urteil auch außerhalb der vorgeschriebenen Öffnungszeiten bedienen - allerdings nur in Filialen, in denen der Thekenverkauf mit einem Café kombiniert ist. Solche Bäckereicafés zählten als Gaststätten, entschied der Bundesgerichtshof. Als „zubereitete Speisen“ dürften Brot und Brötchen dort von früh bis spät abgegeben werden (Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.10.2019, Az. I ZR 44/19).
Wettbewerbszentrale verklagt Backwaren-Hersteller
Die Wettbewerbszentrale hatte bei verschiedenen Bäckereien Verstöße beobachtet. Um die Frage ein für alle Mal klären zu lassen, verklagte sie den bayerischen Backwaren-Hersteller Ratschiller bis vor den Bundesgerichtshof.
„Es ist absoluter Schmarrn, dass wir jemandem die Sonntagssemmel verbieten wollen“, stellt Andreas Ottofülling aus dem Münchner Büro der Wettbewerbsschützer auf gut Bayrisch klar. Aber der Sonntag sei im Bäckereiwesen inzwischen einer der stärksten Verkaufstage. „Umso mehr müssen hier gleiche Marktbedingungen herrschen.“
Vorschriften von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich
Wie lange Bäckereien sonntags ihre Brötchen verkaufen dürfen, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Am großzügigsten sind die Vorschriften in Berlin, dort dürfen Bäckereien von 7 bis 16 Uhr öffnen, bis zu neun Stunden. In Bayern sind nur drei Stunden erlaubt.
Verstöße bei Testkäufen festgestellt
Dass man sich bei Ratschiller daran nicht hält, war nach Testkäufen in zwei Münchner Filialen klar. An einem Sonntag im Februar 2016 wechselten um 11.12 Uhr ein Stangenbrot und zwei Römersemmeln den Besitzer und um 15.46 Uhr noch einmal ein Stangenbrot und zwei Vollkornsemmeln. Ganz ähnlich im März 2018: Damals konnte man vor- wie nachmittags sogar ganze Kastenbrote kaufen - ein klarer Verstoß.
Werbung
Vorinstanzen weisen Klage ab
Trotzdem hatte die Wettbewerbszentrale vor den Münchner Gerichten den Kürzeren gezogen. Denn beide Bäckerei-Filialen sind gleichzeitig ein Café, mit Tischen und Stühlen für die Kundschaft. Für das Oberlandesgericht München kommt damit das Gaststättenrecht ins Spiel. Es erlaubt dem „Schank- oder Speisewirt“, auch außerhalb der Sperrzeit „zubereitete Speisen“ abzugeben, sofern diese „zum alsbaldigen Verkehr oder Verbrauch“ bestimmt sind.
OLG: Backvorgang macht Brot und Brötchen zu „zubereiteten Speisen“
Laut Oberlandesgericht sind Brot und Brötchen „verzehrfertige Nahrungsmittel, deren Rohstoffe durch den Backvorgang zum Genuss verändert worden sind“. Dass das Brot nicht nur scheibenweise als Beilage, sondern auch im Laib angeboten werde, ändere daran nichts. Es handele sich „nicht um unterschiedliche Speisen, sondern nur um eine größere Menge“.
Wettbewerbszentrale: Nackte Semmel ist keine zubereitete Speise
Für die Wettbewerbszentrale Grund genug, die Sache nach Karlsruhe zu bringen. „Die nackte Semmel ist keine zubereitete Speise“, findet Andreas Ottofülling. „Keiner schiebt sich auf dem Nachhauseweg noch fünf trockene Brötchen in den Hals und knabbert an einem Laib Brot.“
BGH bestätigt OLG-Urteil
Der Bundesgerichtshof hat damit allerdings keine Probleme. Brot und Brötchen würden aus Mehl, Wasser, Hefe und Salz gemacht und dann noch gebacken, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Koch bei der Urteilsverkündung. Damit handele es sich um „essfertig gemachte Lebensmittel“.
Werbung
Bäckerei-Verkäufer darf von sofortigem Verzehr ausgehen
Dabei kommt es für den Bundesgerichtshof nicht darauf an, ob die Waren direkt im Café oder woanders gebacken werden. Brot darf auch im ganzen Laib abgegeben werden. Wichtig ist den Richtern nur, dass der Kunde „zum sofortigen Verbrauch“ einkaufe. Davon hätten die Bäckerei-Verkäufer bei den Testkäufen wegen der kleinen Mengen aber ausgehen können.
Urteil gilt bundesweit
Gaststättenrecht ist zwar Ländersache. Bei der entscheidenden Passage gibt es aber keine Unterschiede. Das Urteil gilt daher bundesweit.
Bäckerei Ratschiller erleichtert über das Urteil
Bei Ratschiller ist man erleichtert. „Als reiner Bäcker könnten wir heutzutage nicht mehr überleben“, sagt Geschäftsführer Bernhard Auracher. „Man muss halt einfach mit der Zeit gehen.“ Der Sonntag sei der einzige Tag, an dem Familien noch Ruhe fürs gemeinsame Frühstück hätten. „Ich will die nicht begrenzen, dass sie in der Früh um sieben oder um acht Uhr oder um zehn Uhr ihre Semmeln holen.“ Sonst würden die Kunden schnell zur Tankstelle ausweichen und sich dort versorgen.
Wettbewerbszentrale: Rechtsklarheit mit Urteil hergestellt
Die Wettbewerbszentrale sieht mit dem Urteil Rechtsklarheit hergestellt. Jetzt müssten sich die Landesgesetzgeber fragen, ob sie etwas ändern wollen, sagt Andreas Ottofülling. Noch liege die schriftliche Begründung nicht vor. Aber es sehe so aus, als ob kleinere Bäcker nun nur ein paar Tische und Stühle aufstellen und ein Café anmelden müssten, um länger Sonntagsbrötchen verkaufen zu dürfen.
Bäckerei-Verband sieht die Position der Handwerksbäckereien gestärkt
Bisher hätten sie tatenlos zusehen müssen, wie „Tankstellen, Bahnhofssupermärkte und Co. 365 Tage im Jahr Industriebackwaren verkaufen“, erklärt Hauptgeschäftsführer Daniel Schneider. Er stellt aber auch klar: „Kein Betrieb ist durch dieses Urteil gezwungen, am Sonn- oder Feiertag zu öffnen.“ Letztendlich müsse jeder Bäcker für sich entscheiden, ob er das will.