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Verloren und doch viel gewonnen: Die Gewerkschaft Verdi scheiterte in Karlsruhe jetzt zwar mit ihrem Versuch, in kirchlichen Einrichtungen ein generelles Streikrecht für die dortigen Mitarbeiter durchzusetzen. Das Gericht wies eine Verfassungsbeschwerde der Gewerkschaft dazu aus formalen Gründen ab. Doch auch wenn Verdi den Richterspruch bedauert: Durch die jahrelangen Prozesse in Sachen Arbeitskampf hat die Gewerkschaft im Ergebnis viel erreicht. (Az.: 2 BvR 2292/13)
Sonderweg bei Kirchen
Um das zu verstehen muss man wissen, dass Verhandlungen über Arbeitsbedingungen oder Gehälter bei den beiden großen Kirchen nicht wie in der Wirtschaft ablaufen. Die Kirchen gehen einen Sonderweg, der sich aus ihren religiösen Selbstverständnis als „Dienstgemeinschaft“ ableitet. Ein Arbeitskampf und dementsprechend ein Streikrecht der Mitarbeiter passt da nicht hinein. Mittel der Wahl ist der sogenannte „Dritte Weg“: Hier verhandelt eine von Arbeitgebern und Beschäftigten besetzte paritätisch besetzte Kommission. Am Ende kann die Zwangsschlichtung stehen.
2012 sagte das Bundesarbeitsgericht dazu: Das Vorgehen sei vom Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gedeckt. Aber die Gewerkschaften müssten an den Verhandlungen beteiligt werden. Tun sie das nicht, dürfen die Beschäftigten ihre Forderungen auch mit Streiks durchsetzen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.11.2012, Az. 1 AZR 611/11). Verdi sah sich gestärkt und jubelte. Zunächst.
Kirchen der zweitgrößte Arbeitgeber nach dem öffentlichen Dienst
Denn im Streit mit den evangelischen Kirchen in Westfalen und Niedersachsen geht es ums Prinzip. Schließlich sind die Kirchen der zweitgrößte Arbeitgeber nach dem öffentlichen Dienst. Allein bei der evangelischen Kirche, ihren Gemeinden und ihren diakonischen Einrichtungen sind allein 694 000 Menschen beschäftigt. Da ist viel Mitgliederpotenzial für die Gewerkschaften - und die Gefahr von Ansehensverlust für die Kirchen.
Doch ein genauerer Blick in die Urteilsgründe ernüchterte Gewerkschaftsjuristen offenbar und sie zogen nach Karlsruhe. Zu weich war ihnen alles formuliert, zu wenig hartes Streikrecht, zu wenig konkrete Vorgaben und zu viel kirchlicher Gestaltungsspielraum.
In der Zeit jedoch, in der die Karlsruher Richter die Klage Verdis prüften, veränderten die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die katholischen Bistümer ihr Arbeitsrecht und räumten den Gewerkschaften einen Platz am Verhandlungstisch und damit Mitsprache ein. „Dadurch haben die Gewerkschaften schon viel erreicht - auch ohne dass das Bundesarbeitsgericht kirchlichen Mitarbeitern ein generelles Streikrecht eingeräumt hat“, sagt der Bonner Arbeitsrechtsexperte Gregor Thüsing dazu.
In ihrer Rechtsauffassung bestätigt sieht sich daher auch die EKD: „Wir laden die Gewerkschaften nach wie vor ein, unsere Angebote zur Sozialpartnerschaft im Dritten Weg oder in der Form kirchlicher Tarifpartnerschaft anzunehmen“, erklärte EKD-Kirchenamtspräsident Ulrich Anke.
Die Verfassungsrichter äußerten sich inhaltlich nicht über das Streikrecht - ihre Entscheidung war rein formal. „Doch ist auffällig: Das Gericht lässt keinerlei Kritik am Bundesarbeitsgericht durchblicken, auch nicht zwischen den Zeilen“, sagte Thüsing und wertet das als „vorsichtige Bestätigung der Sache nach“.
„Es ist weiterhin möglich, bei Tarifauseinandersetzungen in kirchlichen Einrichtungen als letztes Mittel zum Streik aufzurufen“, kommentierte Sylvia Bühler vom Verdi-Bundesvorstand den Beschluss.
Doch ganz ausgestanden ist die Sache für die Kirchen nicht: Den Karlsruher Richtern liegt noch eine Klage der Ärztegewerkschaft Marburger Bund in einer Parallessache vor - entschieden werden soll noch 2015.
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