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Sie müssen arbeiten, aber verdienen weit unter Mindestlohn-Niveau: Strafgefangene bekommen nur einen Bruchteil von dem, was draußen durchschnittlich bezahlt wird. Das mache es unnötig schwer, sich wieder ein normales Leben aufzubauen, kritisieren Fachleute. Jetzt nimmt sich das Bundesverfassungsgericht. (Az. 2 BvR 166/16 u.a.)
Wer klagt?
Zwei Betroffene aus Bayern und Nordrhein-Westfalen. Ein dritter Mann aus Sachsen-Anhalt hat seine Verfassungsbeschwerde kurzfristig zurückgenommen. Die verbliebenen Klagen sind schon seit 2016 und 2017 anhängig. Über die Kläger ist aus öffentlich zugänglichen Quellen wenig bekannt. Aus einer der Stellungnahmen, die das Gericht bei Sachverständigen eingeholt hat, geht hervor, dass der bayerische Kläger eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Straubing verbüßte. Dort war er von Ende September bis Anfang November 2015 in der anstaltseigenen Druckerei beschäftigt.
Wie sieht Gefangenenarbeit aus?
Früher war der Justizvollzug bundesweit einheitlich geregelt. Seit der Föderalismusreform 2006 sind die Länder zuständig. In den meisten Bundesländern - auch in Bayern und NRW - gilt für Strafgefangene Arbeitspflicht. „Durch sinnvolle und nützliche Arbeit sollen die Gefangenen an ein auf eigener Arbeit aufgebautes Leben gewöhnt werden“, schreibt etwa das bayerische Justizministerium. Ein Teil arbeitet in Eigenbetrieben, ein Teil für externe Unternehmen. Eine dritte Gruppe übernimmt Aufgaben in der JVA und hält das Gebäude sauber, wäscht Wäsche oder hilft in der Küche. Nach Darstellung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe handelt es sich oft „um einfachste Tätigkeiten mit sehr geringen Anforderungen“.
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Wie ist die Bezahlung geregelt?
Alle Länder stützen sich auf eine Bezugsgröße aus dem Vierten Buch des Sozialgesetzbuchs: das durchschnittliche Arbeitsentgelt aller gesetzlich Rentenversicherten. Strafgefangene erhalten davon neun Prozent. Dieser Wert ist seit mehr als 20 Jahren unverändert geblieben. Ursprünglich lag er bei nur fünf Prozent - das hatte das Bundesverfassungsgericht 1998 beanstandet. Die neun Prozent wurden 2002 zum ersten und bisher letzten Mal in Karlsruhe überprüft. Mit dem Ergebnis: Der Gesetzgeber habe „die äußerste Grenze einer verfassungsrechtlich zulässigen Bezugsgröße noch gewahrt“.
Wie viel Geld ist das ungefähr?
In Bayern beispielsweise galt 2016 ein Stundensatz von 1,57 Euro. Je nach Leistung und Art der Arbeit bekommen die Gefangenen etwas mehr oder weniger, zwischen 75 und 125 Prozent. Das ergab Tagessätze von 9,41 Euro bis 15,69 Euro, plus Zulagen etwa für Überstunden. Außerdem zahlt der Staat in die Arbeitslosenversicherung ein, und Unterkunft und Verpflegung sind für arbeitende Häftlinge kostenlos. Drei Siebtel des Geldes dürfen sie als „Hausgeld“ für Einkäufe verwenden. Den Rest müssen sie zunächst als „Überbrückungsgeld“ ansparen, für die ersten vier Wochen in Freiheit. Wer zwei Monate lang zusammenhängend seiner Tätigkeit nachgeht, bekommt einen Freistellungstag. Die Gefangenen können diese Tage auch sammeln, um früher entlassen zu werden.
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Warum sind derart niedrige Beträge problematisch?
Gefangene haben oft Schulden, die sich mit so wenig Geld nicht abtragen lassen: Gerichts- und Anwaltskosten haben sich aufgetürmt. Viele Verurteilte müssen eine Geldstrafe zahlen oder Opfern Schmerzensgeld und Schadenersatz. Im Gefängnis können sie Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommen. Und auch so fehlt ihnen jede Möglichkeit, eine zurückgelassene Familie finanziell zu unterstützen. Verschärft wird die Situation dadurch, dass Gefangene - mit Ausnahme von Freigängern - nicht in die Rentenversicherung einbezogen sind. Eine lange Haft ist kaum zu kompensieren: Selbst wer es schafft, sich nach der Entlassung ein normales Leben aufzubauen, fällt im Alter fast zwangsläufig auf Sozialhilfe-Niveau zurück.
Was ist vom Verfassungsgericht zu erwarten?
„Arbeit im Strafvollzug ist nur dann ein effektives Resozialisierungsmittel, wenn die geleistete Arbeit angemessene Anerkennung findet“, heißt es in dem Karlsruher Urteil von 1998. Der Gefangene muss danach erkennen können, dass ihm regelmäßige Arbeit etwas bringt, um künftig eigenverantwortlich und straffrei zu leben.
In der Ausgestaltung hat das Gericht dem Gesetzgeber in der Vergangenheit allerdings immer einen weiten Spielraum gelassen. Nach mehr als zwei Jahrzehnten scheinen die Richterinnen und Richter die Gefangenenvergütung aber nun erneut sehr grundlegend prüfen zu wollen. Das Urteil wird erfahrungsgemäß in einigen Monaten verkündet.