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Erbrecht | 21.04.2022

Pflicht­teils­verzicht

Verzicht auf Pflichtteil durch Angehörigen mit Behinderung

Rechtsprechung erschwert den Zugriff auf den Nachlass durch Sozial­ämter

Fachbeitrag von Rechtsanwalt Dr. Ronny Jänig

Wenn sich in einer Familie ein Kind mit Behinderung befindet, welches aufgrund der Behinderung oder der Pflege­bedürftigkeit Sozial­leistungen bezieht, müssen bei der erbrechtlichen Nachfolge­gestaltung Besonderheiten bedacht werden, damit beim Erbfall nicht die Sozial­ämter Zugriff auf das Nachlass­vermögen bekommen.

Das Oberlandes­gericht Hamm hatte kürzlich einen Fall zu entscheiden, in welchem ein an einer Behinderung leidender Abkömmling nach dem Tod seines Vaters auf seine Pflicht­teils­ansprüche verzichtete und damit den Zugriff der Sozial­ämter auf den Pflichtteil verhinderte. Nach Ansicht des Gerichts war dieser nach­trägliche Pflicht­teils­verzicht wirksam, obwohl hierdurch am Ende die Allgemeinheit belastet werde.

Sohn mit Behinderung durch Testament enterbt

Die Familie, um die es bei der Ent­scheidung (OLG Hamm 09.11.2021 – 10 U 19/21) ging, hatte zwei Kinder - ein gesundes und ein Kind, welches aufgrund eines zerebralen Geburts­schadens an einer Behinderung litt. Durch gemein­schaftliches Testament setzten die beiden Eltern sich gegenseitig zu alleinigen Erben und die gemeinsame gesunde Tochter als alleinige Schluss­erbin ein. Der unter der Behinderung leidende Sohn wurde damit für beide Erbfälle enterbt. Eine Regelung hinsichtlich des Pflicht­teils wurde zunächst nicht getroffen.

Nachdem der Vater gestorben war, konnte die allein­erbende Witwe ihren Sohn nicht mehr versorgen. Er zog daraufhin in eine Einrichtung, es wurde Betreuung bewilligt und er bekam staatliche Sozial­leistungen, nämlich rund 1.400 Euro monatlich.

Ein Jahr später verzichtete der Sohn, der trotz seiner Behinderung geschäfts­fähig war, durch notariellen Vertrag mit seiner Mutter auf seinen Pflichtteil nach dem Vater.

Erbrechtliche Vorkehrungen bei Familienmitgliedern mit Behinderung

Was auf den ersten Blick herzlos erscheint, ist aus erbrechtlicher Sicht sowohl für den Erhalt des Familien­vermögens als auch für das betroffene Kind äußerst sinnvoll. Der Hintergrund, warum in der Regel behinderte Familien­angehörige, welche Sozial­leistungen vom Staat beziehen, durch ein sogenanntes „Behinderten­testament“ von der Erbfolge ausgeschlossen werden und oft auch vom Pflichtteil, ist der Folgende: Das Sozialrecht unterliegt dem sogenannten Nachrang­grundsatz. Sozial­leistungen erhalten deshalb nur diejenigen, die die betreffenden Aufwendungen nicht mit eigenen Einkünften oder eigenem Vermögen aufbringen können. Sofern ein Sozial­leistungs­empfänger durch eine Erbschaft oder einen Pflichtteil zu Vermögen kommt, hat dies in der Regel zur Folge, dass die Sozial­leistungen eingestellt werden. Der Vermögensz­uwachs dient daher in erster Linie dann nur dem Staat, nicht aber dem gehandicapten Familien­mitglied. Durch ein „Behinderten­testament“ wird daher in der Regel versucht, das behinderte Kind bestmöglich zu versorgen, ohne den Staat am Nachlass teilhaben zu lassen.

Sobald bei einem Sozialhilfe­empfänger Pflicht­teils­ansprüche entstehen, weil zum Beispiel ein Elternteil verstirbt und dieser das betreffende Kind enterbt hat, können die Sozial­ämter diesen Pflicht­teils­anspruch zudem auf sich überleiten und selbst vom Erben einfordern, um einen Ersatz für die bereits geleisteten Zahlungen zu erhalten.

Keine Sittenwidrigkeit bei Pflichtteilsverzicht eines behinderten Sozialleistungs­beziehers

So geschah es auch im vom Oberlandes­gericht Hamm zu entscheidenden Fall. Das Sozialamt leitete den vermeintlichen Pflicht­teils­anspruch gegen die Mutter des Sozialleistungs­empfängers trotz des Verzichts­vertrages auf sich über und machte diesen gerichtlich gegen die Mutter geltend. Das Sozialamt war der Ansicht, der Verzicht auf den Pflichtteil sei sittenwidrig.

Das Oberlandes­gericht schob dieser Vorgehensweise der Sozial­ämter aber einen Riegel vor. Es wies die Klage des Sozialamts mit der Begründung ab, dass Mutter und Sohn wirksam einen nach­träglichen Verzicht auf den Pflichtteil nach dem verstorbene Vater vereinbart hätten. Der Pflichtteils­verzichts­vertrag, welcher formal juristisch einen Erlass­vertrag darstellt, sei nicht sittenwidrig, auch wenn dieser am Ende die Allgemeinheit belaste.

Allgemeinheit soll wirtschaftliche Lasten von betroffenen Familien mittragen

Das Oberlandes­gericht schließt sich damit der geltenden Rechtsprechung des Bundes­gerichts­hofs (BGH) an und entwickelt diese fort. Dieser hatte in einem wegweisenden Urteil aus dem Jahr 2011 (BGH 19.01.2011 – IV ZR 7/10) bereits entschieden, dass Pflichtteils­verzichts­verträge durch geschäfts­fähige, aber an einer Behinderung leidende Familien­angehörige vor Entstehen des Pflicht­teils­anspruchs grund­sätzlich wirksam und nicht sittenwidrig seien. Der Bundes­gerichts­hof begründete seine Ent­scheidung damals in erster Linie mit dem Prinzip des Familien­lasten­ausgleichs. Demnach soll der Nachrang­grundsatz im Sozialrecht gegenüber Familien mit an einer Behinderung leidenden Kindern nur sehr einschränkt zum Tragen kommen. Es sei richtig, dass die wirtschaftlichen Lasten, die für die Versorgung, Erziehung und Betreuung von Kindern mit Behinderung anfallen und besonders hoch seien, zu einem gewissen Teil endgültig von der Allgemeinheit zu tragen sind. Der Verzicht auf den Pflichtteil sei zudem Ausdruck der grund­rechtlich geschützten negativen Erbfreiheit und deshalb zu akzeptieren.

Der BGH entschied dies damals aber nur für den Fall, dass der Pflicht­teils­verzicht bereits vor dem Erbfall vereinbart wurde. Bislang war in der Rechtsprechung nicht geklärt, ob ein solcher nach dem Erbfall vereinbarte Verzicht auch wirksam ist, was das Oberlandes­gericht aber nun in seiner Ent­scheidung bestätigte.

Im Zweifel schnelles Handeln erforderlich

Familien mit Kindern, die wegen einer Behinderung Sozial­leistungen beziehen, müssen aber trotz dieser für sie erfreulichen Ent­scheidung darauf achten, dass sie nicht zu spät handeln, um den Zugriff der Sozial­ämter zu verhindern. Sobald der Pflicht­teils­anspruch entstanden ist, also zum Beispiel mit dem Tod eines Elternteils, haben die Sozial­ämter die Möglichkeit, den Pflicht­teils­anspruch auf sich über­zuleiten. Sobald der Anspruch über­geleitet ist, wird kein wirksamer Verzichts­vertrag mehr möglich sein. Der sicherste Weg ist daher, den Verzicht schon mit Errichtung des Testaments, also vor dem Erbfall zu vereinbaren.

Die Ent­scheidung des Ober­landes­gerichts hat zudem nur Auswirkungen auf die Fälle, in denen Familien­angehörige zwar wegen einer Behinderung Sozial­leistungen beziehen, trotzdem aber voll geschäfts­fähig sind. Sofern die Geschäfts­fähigkeit nicht gegeben ist, ergeben sich für einen solchen Pflicht­teils­verzicht weitere Hürden, welche oft nicht zu umgehen sind.

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