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Arbeitsrecht | 02.02.2023

Verjährung

Urlaubs­verfall: Urlaubs­ansprüche (fast) ohne Verfalls­datum?

BAG folgt Arbeits­recht-Urteil des EuGH

Fachbeitrag von Rechtsanwalt Dr. Ronny Jänig

Das Bundes­arbeits­gericht urteilte im Dezember zur Frage, wann die Verjährung von Urlaubs­ansprüchen bzw. Urlaubs­abgeltungs­ansprüchen eintritt. Nähere Informationen zum Urteil und dem anwendbaren Arbeits­recht gibt es in diesem Artikel.

Insbesondere im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeits­verhältnissen – sei es durch eine Kündigung oder einen Aufhebungs­vertrag – kommt es immer wieder zu Streitig­keiten über Resturlaubs­ansprüche bzw. die Zahlung von Urlaubs­abgeltung für Urlaubstage, welche bis zur Beendigung des Arbeits­verhältnisses nicht genommen wurden oder, wie z.B. im Fall einer Erkrankung des Arbeit­nehmers, nicht (mehr) genommen werden konnten.

EuGH-Entscheidung: Kein Verfall von arbeitsvertraglichen Urlaubstagen ohne Hinweis

Bereits 2018 hatte das Bundes­arbeits­gericht entschieden, dass Urlaubs­ansprüche grund­sätzlich nicht verfallen, wenn der Arbeitgeber den Arbeit­nehmer nicht durch entsprechende Hinweise auf den möglicher­weise drohenden Verfall von Urlaubs­ansprüchen rechtzeitig in die Lage versetzt hatte, seinen Resturlaub zu nehmen.

Mit einer aktuellen Ent­scheidung vom 20.12.2022 (Az. 9 AZR 266/20) hat das Bundes­arbeits­gericht nun weitere Vorgaben des Europäischen Gerichts­hofs (EuGH) umgesetzt, welche die Frage der Verjährung von Urlaubs­ansprüchen bzw. Urlaubs­abgeltungs­ansprüchen betreffen.

Urlaubsabgeltung für 100 Urlaubstage – geht das?

In dem entschiedenen Fall war die klagende Arbeit­nehmerin von 1996 bis zum 31.07.2017 als Steuer­fach­angestellte bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt. Bei Beendigung des Arbeits­verhältnisses zahlte der Arbeitgeber ihr rund 3.200,00 Euro brutto zur Abgeltung von 14 Urlaubs­tagen. Die Klägerin forderte allerdings noch weitere Urlaubs­abgeltung, nämlich für insgesamt 101 Arbeitstage für von ihr in den Jahren zwischen 2013 und 2017 nicht genommenen bezahlten Jahres­urlaub.

Nachdem der Arbeitgeber die weitere Urlaubs­abgeltung nicht zahlen wollte, landete der Fall zunächst 2018 vor dem Arbeits­gericht, welches die Klage abgewiesen hat. Das Landes­arbeits­gericht als Berufungs­instanz hatte der Klägerin Urlaubs­abgeltung für weitere 76 Arbeitstage zugesprochen. Der beklagte Arbeitgeber legte dagegen Revision ein. Der Arbeitgeber verteidigte sich im Wesentlichen damit, dass die Urlaubs­ansprüche verjährt seien.

Verjährungsfrist beginnt erst mit Hinweis auf Verfall!

Das Bundes­arbeits­gericht legte den Fall dann dem EuGH zur Vorab­entscheidung vor. Das Bundes­arbeits­gericht wollte die Fragte geklärt haben, ob die deutschen Verjährungs­regelungen, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahres­urlaub bzw. Urlaubs­abgeltung nach Ablauf einer Frist von drei Jahren verjährt, mit höherrangigem Recht, nämlich mit der EU-Arbeits­zeit­richtlinie und der EU-Grundrecht­scharta vereinbar sind. Das Bundes­arbeits­gericht hatte diesbezüglich Zweifel.

Der Europäische Gerichtshof hat hierzu im September 2022 entschieden, dass Regelungen zur Verjährung von Urlaubs- bzw. Urlaubs­abgeltungs­ansprüchen grund­sätzlich zulässig sind. Die drei­jährige Verjährungs­frist beginne allerdings erst am Ende des Kalender­jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeit­nehmer über seinen arbeitsvertraglichen Urlaubs­anspruch und die Verfall­fristen informiert habe und der Arbeit­nehmer den Urlaub dann dennoch aus freien Stücken nicht genommen habe!

BAG: Urlaubsabgeltung rechtzeitig eingefordert

Im entschiedenen Fall hatte der beklagte Arbeitgeber die Mit­arbeiterin nicht auf den möglichen Verfall von Urlaubs­ansprüchen hingewiesen und auch nicht dazu aufgefordert, den offenen Urlaub rechtzeitig zu nehmen. Deswegen hat das Bundes­arbeits­gericht in Umsetzung der Ent­scheidung des EuGH jetzt geurteilt, dass keine Verjährung eingetreten sei und dass die Klage auf Zahlung der Urlaubs­abgeltung rechtzeitig erhoben worden sei.

Tragende Begründung hierfür – so der EuGH und jetzt auch das Bundes­arbeits­gericht – ist, dass anderenfalls der Arbeitgeber, welcher zuvor seine Hinweis­obliegenheiten gegenüber dem Arbeit­nehmer verletzt hat, davon profitieren würde, wenn Urlaubstage infolge dieser Nachlässigkeit nicht genommen werden und dann verjähren.

Arbeitsrecht soll nachlässige Arbeitgeber nicht begünstigen

Das grund­sätzlich beachtliche Interesse des Arbeit­gebers daran, durch gesetzliche Verjährungs­fristen innerhalb absehbarer Zeit Rechts­sicherheit über etwaige Ansprüche aus dem Arbeits­verhältnis zu erlangen, sei daher in diesem Fall nicht schützens­wert. Der Arbeitgeber würde dann nämlich quasi durch seine eigenen Versäumnisse noch belohnt und ungerechtfertigt bereichert. Auch die europa­rechtlichen Zielsetzungen des Gesundheits­schutzes für Arbeit­nehmer würden dann verletzt.

Arbeitsrecht, Urlaub, Verfall & Verjährung – es bleiben Unklarheiten

Trotz dieser Klarstellungen durch das Bundes­arbeits­gericht bzw. den EuGH hinsichtlich der Verjährungs­thematik bleiben viele praxis­relevante Fragen ungeklärt und dürften zwangs­läufig Anlass zu weiteren Rechts­streitigkeiten bieten. So gibt es bislang keine höchst­richter­lichen Vorgaben dafür, wie häufig oder wie konkret ein Arbeitgeber Hinweise auf Rest­urlaubstage und einen möglichen Verfall von Urlaubs­ansprüchen erteilen muss.

Für Arbeitgeber gibt es insoweit Handlungs- oder zumindest Beratungs­bedarf, um nicht unter Umständen noch Jahre nach der Beendigung eines Arbeits­verhältnisses hohen finanziellen Forderungen aus Urlaubs­abgeltung ausgesetzt zu sein.

Ebenso unklar ist die Frage, ob Arbeit­nehmer die neue Rechtsprechung zu Verfall und Verjährung von Ansprüchen aus dem Arbeits­verhältnis nicht auch bei anderen Arbeit­nehmer­rechten ins Feld führen können. Die weitere Entwicklung im Arbeitsrecht bleibt insoweit abzuwarten.

Ein Fachbeitrag von

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