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Schadensersatzrecht | 18.11.2020

Abgas­skandal

Wegweisendes Urteil vom Heimat­gericht der Audi AG

Audi AG profitiert nicht von „Ad-Hoc-Urteil“ des Bundes­gerichts­hofs für Spät­käufer von Betrugs­dieseln

Das Landgericht Ingolstadt hat in einem sensationellen Urteil vom 12.11.2020, Az. 81 O 571/19, einem Kläger in einem Verfahren gegen die Audi AG Recht gegeben und verurteilte die Audi AG zur Rück­zahlung des Kaufpreises und Rücknahme des Wagens - und das obwohl der Kläger seinen PKW im Januar 2016, also NACH dem Bekannt­werden des Abgas­skandals erworben hat.

Der Kläger kaufte den Audi A4 Avant 2.0 l TDI gebraucht mit 17.500 km für 28.150 Euro im Januar 2016 und somit knapp 4 Monate nach dem Bekannt­werden des Abgas­skandals.

BGH wies Ansprüche ähnlich gelagerter Fälle zurück

Der BGH wies in einem ähnlich gelagerten Fall den Anspruch zurück, da sich nach Ansicht des Senats ab der Veröffentlichung der ad-hoc-Mitteilung am 22. September 2015 durch die Volkswagen AG deren Verhalten derart geändert haben soll, dass ab diesem Zeitpunkt nicht mehr von einer Sitten­widrigkeit ausgegangen werden könne. Dem sind die Gerichte bisher auch unisono gefolgt und wiesen die Klagen mit eben dieser Begründung ab.

LG Ingolstadt entscheidet anders

Das Urteil des Land­gerichts Ingolstadt differenziert hier richtiger­weise zwischen den einzelnen Marken innerhalb des Volkswagen-Konzerns und kommt daher zu einem anderen Ergebnis.

Denn entgegen der Auffassung der Audi AG führe deren Verhalten eben nicht dazu, dass der ihr gegenüber erhobene Vorwurf der Sitten­widrigkeit nicht mehr gerechtfertigt sei. Dabei verkenne das Gericht nicht, heißt es in dem Urteil, dass bei der gebotenen Gesamt­betrachtung auch das Verhalten der Audi AG (nach dem Inverkehr­bringen des Fahrzeugs) bis zum Abschluss des streit­gegen­ständlichen Kauf­vertrags zu berücksichtigen sei.

Kein entfallen der Sittenwidrigkeit für Audi

Das Gericht vertrat die Auffassung, dass die Maßnahmen des Mutter­konzerns, also der Volkswagen AG, unter Hinweis auf die Betroffenheit zahlreicher weiterer Fahrzeuge des gesamten Konzerns nicht ausreichend waren, um auch für Audi das Verdikt der Sitten­widrigkeit entfallen zu lassen.

Die Maßnahmen des Mutter­konzerns ließen auch nicht den notwendigen Schluss darauf zu, dass die strategische unter­nehmerische Ent­scheidung der Audi AG, im eigenen Kosten- und Gewinn­interesse die zuständigen Behörden und letztlich die Fahrzeug­käufer zu täuschen, durch die Strategie, an die Öffentlichkeit zu treten, Un­regel­mäßigkeiten einzuräumen und in Zusammen­arbeit mit dem Kraft­fahrt­bundes­amt Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustands zu erarbeiten, um der Gefahr einer Betriebs­beschränkung oder-untersagung zu bannen, ersetzt worden wäre.

Keine Entlastung für Audi durch VW vorgenommene Entwicklung und Bereitstellung eines Software-Updates

Auch die durch den Mutter­konzern vor­genommene Entwicklung und Bereit­stellung eines Software-Updates könne Audi insoweit nicht zur Entlastung gereichen. Dasselbe gelte für die umfassende mediale Bericht­erstattung, mit der die Problematik der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde: Bei der Beurteilung, welche Anstrengungen von der Audi AG zu unternehmen waren, um ihr Verhalten im Rahmen der notwendigen Gesamt­betrachtung als nicht sittenwidrig erscheinen zu lassen, könnte diese zugunsten der Beklagten allenfalls gering­fügige Berücksichtigung finden, ohne in der Gesamt­betrachtung die Sitten­widrigkeit entfallen zu lassen.

Abgasskandal der Volkswagen AG stand im Vordergrund und nicht Audi

Die mediale Bericht­erstattung sei nahezu ausschließlich durch die Presse­abteilung der Volkswagen AG initiiert worden und sei in Folge davon auch in erster Linie als „VW-Abgas­skandal“ ein wichtiges Thema gewesen. Auch seien die weiteren Maßnahmen wie die Einrichtung eines Links zu einer Such­maschine für betroffene Fahrzeuge auf der Webseite, die Maßnahmen des KBA und die Bereit­stellung von Software-Updates in erster Linie mit der Volkswagen AG und nicht mit der Audi AG in Verbindung gebracht worden. Sofern diese Maßnahmen überhaupt mit einer Verhaltens­änderung in Verbindung gebracht werden könnten, sei es jedenfalls nicht möglich, hieraus auf eine Verhaltens­änderung der Audi AG zu schluss­folgern.

Dies gelte umso mehr, als die Audi AG gerichts­bekannt über den Zeitpunkt des Inverkehr­bringens des streit­gegen­ständlichen Fahrzeugs hinaus bis zum Abschluss des Kauf­vertrags in zahlreichen weiteren von ihr produzierten und entwickelten Fahrzeugen, in denen sich von ihr entwickelte und produzierte Motoren befanden, unzulässige Abschalt­einrichtungen verwendet hat. Vor diesem Hintergrund scheine die Annahme eines Gesinnungs­wechsels, der die Sitten­widrigkeit entfallen ließe, nicht überzeugend.

Pflichtmitteilung kann weder ein „Persilschein“ für VW noch und für Audi und andere Töchter sein

„Viele dachten, mit dem BGH-Urteil zu Spätkauf­fällen sei für diese Geschädigten alles vorbei. Massenhaft nehmen Kläger­kanzleien Berufungen zurück. Jetzt die sensationelle Wende am Heimat­gericht der Audi AG in Ingolstadt: Das Verhalten der Audi AG nach Bekannt­werden der dortigen Machen­schaften bringt den Sittenwidrigkeits­vorwurf nicht zu Fall. Auch dass es VW gelingt, sich mit der Pflicht­mitteilung an Aktionäre aus der Verant­wortlichkeit zu stehlen, daran habe ich angesichts des falschen Inhalts dieser Mitteilung erhebliche Zweifel. Sie kann kein “Persil­schein„ für VW sein - und schon gar nicht für Audi und andere Töchter. Ich bin mir sicher, dass viele weitere Gerichte der überzeugenden Argumentation der Ingolstädter Richter folgen werden. Wir kämpfen weiter für die Geschädigten“ so der geschäfts­führende Partner Dr. Marco Rogert von der erfolgreichen Pionier­kanzlei Rogert & Ulbrich.

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