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Schadensersatzrecht | 31.10.2018

VW-Abgas­skandal

Muster­feststellungs­klage – Fluch oder Segen?

Die Muster­feststellungs­klage bringt jahrelange Verzögerungen aber keine sicheren Vorteile für Verbraucher

Fachbeitrag von Rechtsanwalt Michael Winter

Derzeit ist die ab dem 01.11.2018 mögliche Muster­feststellungs­klage für VW-Geschädigte in aller Munde. Wie allgemein üblich existieren zahlreiche Informationen – nicht alle sind richtig.

Als derjenige, der zahlreiche Geschädigte des VW-Konzerns vertritt, stehe ich der durch das Musterklage­verfahren möglichen Gesetzes­änderung (vor allem im Bereich der Zivil­prozess­ordnung) aus zahlreichen Gründen äußerst kritisch gegenüber – warum, will ich gerne erläutern:

Verbraucherschutzorganisationen haben Klage-Monopol

Der Gesetzgeber wollte ein Instrument schaffen, bei dem viele in gleicher Weise geschädigte Verbraucher (!!!) einen Anspruch auf Schadens­ersatz feststellen lassen können, ohne dass es der Einleitung eines Gerichts­verfahrens durch jeden einzelnen Geschädigten bedarf.

Stattdessen soll der Muster­rechts­streit durch Verbraucher­schutz­organisationen geführt werden.

Diejenigen Verbraucher, die sich im jeweiligen Verfahren anmelden, tragen keinerlei Prozess­kosten­risiko und können zum Beispiel als Zeugen vernommen werden.

Ein zur Klage befugter Verband muss vor Beginn eines Muster­rechts­streits die Fälle von mindestens 10 Betroffenen akribisch prüfen und auf dieser Basis eine Klage einreichen.

Beteiligung nur mit Registrierung im Klageregister möglich

Sodann müssen sich innerhalb von zwei Monaten insgesamt 50 betroffene Verbraucher bei einem sogenannten „Klage­register“ anmelden – ein solches wird beim Bundesamt für Justiz (nicht zu verwechseln mit dem Bundes­ministerium für Justiz) geführt.

Mit der Anmeldung im Klage­register wird die Verjährung von Schadens­ersatz­ansprüchen gehemmt. Die Anmeldung kann übrigens ohne Einschaltung eines Rechts­anwalts erfolgen.

Durch die Eingangs­voraussetzungen, die Verbraucher­schutz­verbände erfüllen müssen, wurde beispiels­weise die Deutsche Umwelthilfe von derartigen Verfahren ausgeschlossen.

Vergegenwärtigt man sich jedoch, was in einem Muster­verfahren eigentlich entschieden wird, stellt man sehr schnell fest, dass dies „lediglich die halbe Miete ist“. Entschieden wird nämlich nur darüber, ob ein Verbraucher Schadens­ersatz fordern kann oder nicht.

Mit dieser Feststellung ist ihm im Zweifels­fall jedoch nicht gedient, da er (so er überhaupt im Muster­verfahren siegte) seinen Anspruch der Höhe nach sodann erneut (und vermutlich in Sachen VW wiederum gerichtlich) geltend machen muss.

Die Musterklage – und dies muss in aller Deutlichkeit fest­gestellt werden – bringt dem geschädigten Verbraucher also keinerlei Geld!

Es gibt also auch keinerlei vollstreckbaren und auf Zahlung von Geld gerichteten Titel!

Wer tatsächlich gewonnen hat, muss auf eigene Kosten und eigenes Risiko seinen persönlichen Schaden (notfalls im Rahmen einer weiteren Klage) durchsetzen.

Verfahren führt zu keinen direkten Konsequenzen im Sinne der Kläger

Liest man einmal den Gesetzes­text, stellt man unschwer fest, dass hier versucht wurde, möglichst schnell, jedoch keinesfalls möglichst gründlich zu arbeiten.

Experten äußern schon jetzt zu Recht Zweifel daran, ob beispiels­weise in Verfahren gegen VW die Musterklage überhaupt das richtige Instrument ist – sie führt nämlich – wie ich bereits darstellte – bei sogenannten „Streu- oder Massen­schäden“ gerade nicht zu sofort greifbaren Konsequenzen nach Verfahrens­beendigung.

Auch besteht ein Haftungs­risiko für die klagenden Verbände – für die Verbraucher­zentrale/den Bundes­verband soll es offen­sichtlich abgefangen werden.

Was ist, so Verbraucher sich von klagenden Verbänden nicht korrekt vertreten fühlen – dürfen sie dann Ansprüche aus der fehler­haften Vertretung vor Gericht gegenüber den Verbänden geltend machen?

Dieser und zahlreiche andere Punkte sind noch nicht geklärt.

Unternehmer vom Musterverfahren ausgeschlossen

Auch muss nochmals ausdrücklich betont werden, dass das Musterklage­verfahren ausschließlich für Verbraucher gilt – wer im Falle VW das Fahrzeug als Unternehmer erwarb, kann sich der Musterklage nicht anschließen.

Jedoch erhält er die Möglichkeit, einen Prozess, den er bereits wegen Schaden­ersatzes führt, auf seinen eigenen Antrag hin unter­brechen zu lassen, bis ein Urteil im entsprechenden Muster­prozess vorliegt.

Das Muster­urteil hat, wenn es dann je ergeht, für einen Unter­nehmern jedoch keine Bindungs­wirkung- man geht jedoch davon aus, dass ein Gericht bei gleichem Sachverhalt ein Muster­urteil berücksichtigt.

Registrierte Verbraucher können nicht zugleich individuell klagen

Wer jetzt schon als Verbraucher gegen VW prozessiert, tut sich mit der Muster­feststellungs­klage keinen Gefallen, da sein von ihm selbst angestrengtes Gerichts­verfahren, sobald er sich ins Muster­klagen­register eintragen lässt, bis zur rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Erledigung der Muster­feststellungs­klage ausgesetzt wird.

Wer noch keine eigene Klage gegen VW erhob, kann dies, wenn er sich für die Musterklage registrierte, auch nicht mehr tun!

Auch wird offen­sichtlich vergessen, dass die von der Verbraucher­zentrale und dem ADAC beworbene Muster­feststellungs­klage lediglich Fahrzeuge von VW, Audi, Skoda, und Seat umfasst, die mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgerüstet sind.

Wie lange das 2-stufige Musterklage­verfahren dauert, ist schlecht abzuschätzen – es beginnt beim Oberlandes­gericht und wird (unabhängig davon, wie die erste Instanz entscheidet) wohl definitiv beim BGH „aufschlagen“.

Jeder, der an diesem Verfahren teilnimmt, trägt also während der gesamten Verfahrens­dauer das Risiko, dass sein Fahrzeug täglich mehr und mehr Kilometer sammelt und eventuell einen Unfall erleidet.

Direktes Individualverfahren bleibt weiterhin das vorteilhafteste Mittel für Betroffene

Für mich – und ich sage dies in aller Deutlichkeit – ist das Muster­verfahren nichts als eine „Mogel­packung“, die der Gesetzgeber, erneut die Unternehmen schützend, viel zu schnell auf den Weg brachte, um damit getäuschte Verbraucher zu beruhigen.

Das deutsche Recht sieht (und Tag für Tag ergehen mehr Urteile, die Geschädigten günstig sind) andere Möglichkeiten vor, die jeder Einzelne (ob Verbraucher oder Unternehmer) nutzen kann, um seine Rechte selbst durch­zusetzen – ich kann nur empfehlen, diese Wege zu wählen.

Ein Fachbeitrag von [Anbieter­kenn­zeichnung]

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