Quelle: DAWR
Die Krankenschwester ist seit 23 Jahren in dem Krankenhaus beschäftigt. Eines Tages entnahm sie aus dem Klinik-Kühlschrank des Pausenraums acht halbe belegte Brötchen und aß sie mit Kollegen auf. Eigentlich waren die belegten Brötchen für Rettungssanitäter und andere externe Mitarbeiter des Krankenhauses bestimmt.
Fristlose Kündigung
Als die Klinikleitung von dem Vorfall erfuhr, kündigte sie der Krankenschwester fristlos. Zu Unrecht, entschied jetzt das Arbeitsgericht Hamburg. Die fristlose Kündigung nach 23 Jahren Firmenzugehörigkeit sei unverhältnismäßig und daher unwirksam, führte das Arbeitsgericht aus. Die Entwendung geringwertiger Sachen (hier acht belegte Brötchenhälften) könne zwar grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, es komme aber auch immer auf den Einzelfall und die Umstände an.
Abmahnung hätte ausgereicht
Das Arbeitsgericht gelangte in seinem Urteil zu der Überzeugung, dass im konkreten Fall eine Abmahnung ausgereicht hätte. Durch eine Abmahnung hätte in diesem speziellen Fall verloren gegangenes Vertrauen wieder hergestellt werden können.
Verhalten des Angestellten nach dem Fehltritt ist auch entscheidend
Bei der Wertung eines Diebstahls sei nämlich immer auch zu berücksichtigen, ob der Täter bei seiner Vertragspflichtverletzung offen oder heimlich gehandelt hat und wie er - angesprochen auf seine Verfehlung - mit den Vorwürfen umgeht. Hier im Fall habe die Krankenschwester ihr Fehlverhalten sofort eingeräumt und auch zugegeben, mindestens eine Brötchenhälfte selbst verzehrt zu haben.
Bagatellkündigungen beschäftigen immer wieder die Arbeitsgerichte
Sogenannte „Bagatellkündigungen“ beschäftigen immer wieder die deutschen Arbeitsgerichte. Der bekannteste Fall ist wohl der „Pfandbon-Fall“. Der unter dem Namen „Emmely“ deutschlandweit bekannt gewordenen Kaisers-Kassiererin wurde 2008 gekündigt, weil sie einen ihr nicht gehörenden Pfandbon im Wert von 1,30 Euro eingelöst hatte. Emmely, die seit über 20 Jahren bei Kaisers und deren Rechtsvorgängern angestellt war, klagte gegen die Kündigung vom Arbeitsgericht Berlin bis zum Bundesarbeitsgericht durch alle Instanzen. Das Bundesarbeitsgericht erklärte im Sommer 2010 die fristlose Kündigung für unwirksam und stellte fest, dass eine Abmahnung als milderes Mittel gegenüber der Kündigung angemessen und ausreichend gewesen wäre.
Übersicht: Bagatellkündigungen
In den letzten Jahren gingen viele weitere Bagatellkündigungen durch die Medien; z.B.
- Kündigung wegen Aufladens eines Elektrorollers im Büro (Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 02.09.2010, Az. 16 Sa 260/10)
- Kündigung einer Reinigungskraft wegen Mitnahme von Pfandflaschen (Arbeitsgericht Lübeck, Urteil vom 09.10.2009, Az. 3 Ca 864/09)
- Kündigung eines Müllmanns wegen Mitnahme eines entsorgten Kinderreisebetts „Kindereisebettfall“ (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 10.02.2010, Az. 13 Sa 59/09)
- Kündigung wegen Mitnahme eines für die Biotonne vorgesehenen Brotes durch eine Verkäuferin (Arbeitsgericht Leipzig, Urteil vom 30.09.2010, Az. 3 Ca 1482/10)
- Kündigung eines Krankenpflegers wegen Verzehrs von übrig gebliebenen Patientenessen (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.09.2010, Az. 3 Sa 233/10)
- Kündigung eines langjährigen Küchenmitarbeiters wegen des Verzehrs von Pommes und Frikadellen (Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 04.11.2010, Az. 8 Sa 711/10)
- Kündigung eines Bäckers, der ein gekauftes Brötchen mit einem nicht bezahlten Brotaufstrich belegt hatte (Kammergericht Berlin, Beschluss vom 06.03.2008, Az. 12 U 59/07)
Schließlich seien noch der bekannte „Maultaschenfall“ und der „Bienenstichfall“ genannt. Im „Maultaschenfall“ war die Mitarbeiterin eines Altenheims gekündigt worden. Sie hatte sechs Maultaschen verzehrt bzw. mit nach Hause genommen. Die Maultaschen waren beim Mittagessen übrig gebliebenen (Arbeitsgericht Lörrach, Urteil vom 16.10.2009, Az. 4 Ca 248/09)
Bereits 1984 beschäftigte sich das Bundesarbeitsgericht mit dem bekannten „Bienenstichfall“. Eine Verkäuferin, die ein Stück Bienenstich im Wert von damals 60 Pfennig verzehrt hatte, war fristlos gekündigt worden (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.05.1984, Az. 2 AZR 3/83).
Fazit
Ein vorsätzlicher Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Vertragspflichten kann eine fristlose Kündigung auch dann rechtfertigen, wenn der damit einhergehende wirtschaftliche Schaden gering ist. Es kommt aber immer auf die Umstände des Einzelfalls an.