Pflicht und Recht: Warum werden einzelne Versicherungen vorgeschrieben?
Bis ins 19. Jahrhundert, also noch bevor es so etwas wie ein einheitliches Deutschland gab, existierte keine Form von Pflichtversicherung – zwar hatte es in früheren Jahrhunderten in einigen Städten vorgeschriebene Feuerversicherungen gegeben, aber nicht deutschlandweit und nicht einheitlich geregelt. Von einer rein finanziellen Ebene war das natürlich vorteilhaft – ein Arbeitnehmer, der keine Versicherungsabgaben zahlen muss, hat außer Steuern praktisch keine weiteren Abgaben. Und die Versicherungen, die bereits bestanden, existierten jedoch nur für einzelne Berufsgruppen und wenn überhaupt, dann auf rein freiwilliger Basis.
Genau das zeigte auch sehr scharf die gravierenden Nachteile dieser Politik auf. Denn nur wenige versicherten sich – frei nach dem Motto „mir wird schon nichts passieren“. Gab es dann einen Unfall, Arbeitsunfähigkeit usw. zahlte der Betroffene bzw. seine Angehörigen sämtliche Behandlungs-, Pflege- und sonstigen Kosten. In der prä-industriellen Epoche wirkte sich dieses Problem noch nicht allzu gravierend aus, weil die ländliche Bevölkerung meist durch eine weitläufige Familie finanziell abgesichert war. In einem zunehmend industrialisierten Deutschland, in dem immer mehr Menschen in die Städte zogen und dort keine große Familie als Rückfallversicherung hatten, landeten jedoch immer mehr Personen nach Unfällen, die sie arbeitsunfähig machten, in Armenhäusern bzw. mussten am Existenzminimum leben – eine großflächige Verelendung war die Folge. Gleiches galt für Arbeitslose und Rentner – sie alle waren im Fall der Fälle vollkommen schutzlos, sofern ihr Beruf bzw. die jeweilige Gilde keine entsprechenden Versicherungen zur Pflicht für alle Mitglieder machten.
Ab 1883 entstand auf Befehl der höchsten Regierungsebenen deshalb nach und nach die Sozialversicherung mit ihren unterschiedlichen Komponenten, die, mit einigen Änderungen, auch heute noch Bestand hat.
Und auch die Gründe der Pflichtversicherungen sind heute gleich. Sie sollen garantieren, dass in Schadensfällen alle Maßnahmen getroffen werden können, um die Opfer zu schützen – das gilt auch im Falle von Fremdverschulden.
Pflichtversicherungen sollen sicherstellen, dass Patienten u.A. nach Unfällen nicht auf den Unfallkosten sitzen bleiben.Quelle: fotolia.com © animaflora
1. Pflichtversicherung: Arbeitslosigkeit
Selbst die Bundesagentur gibt heute unumwunden zu, dass Arbeitslosigkeit jeden treffen kann. Zwar herrschen durch Einführung diverser Arbeitnehmerschutzgesetze heute nicht mehr die gleichen Zustände wie zur Gründungszeit der Sozialversicherung, eine verlorene Arbeitsstelle ist jedoch nach wie vor eine verlorene Arbeitsstelle – ob mit oder ohne Kündigungsfrist.
Die Arbeitslosenversicherung, die sich im Übrigen auf das dritte Buch des Sozialgesetzbuches stützt, soll dabei mehrere Punkte sicherstellen:
- Die Zahlung einer Arbeitslosenunterstützung
- Berufsfindungs- und Beratungsmaßnahmen
- Übernahme von Kosten der Fortbildung und Umschulung
- Leistungen zur Beschäftigung von Behinderten.
Daneben umfasst der Topf der Arbeitslosenversicherung aber auch Maßnahmen, mithilfe derer sichergestellt werden kann, dass eine Arbeitslosigkeit gar nicht erst eintritt – also Kurzarbeits- und Transfergelder.
Mit Ausnahme von geringfügig Beschäftigten umfasst die Pflicht zur Versicherung sämtliche abhängig Beschäftigten ausgenommen Beamte. Seit 2006 können sich zudem auch Selbstständige freiwillig versichern.
2. Pflichtversicherung: Krankenversicherung
Die Krankenversicherungspflicht soll sicherstellen, dass jeder Deutsche im Falle einer Krankheit behandelt werden kann – ungeachtet seiner persönlichen Vermögensverhältnisse. § 193 des Versicherungsvertragsgesetzes besagt damit ganz klar, dass es sich dabei um eine Allgemeine Krankenversicherungspflicht handelt – wer seinen Wohnsitz in Deutschland hat, muss sich zwangsweise bei einem hier zugelassenen Versicherer absichern. Praktisch gibt es zwei Optionen:
- Gesetzliche Krankenversicherung. In dieser müssen sich alle sozialversicherungspflichten Arbeitnehmer sowie Rentner pflichtversichern
- Private Krankenversicherung. Sie steht prinzipiell zwar jedem offen, ist aber in der Praxis hauptsächlich eine Versicherung für Selbstständige, Angestellte mit einem Einkommen jenseits des Jahresarbeitsentgeldgesetzes sowie Beamte
In der GKV sind zudem alle Familienmitglieder des Versicherungsnehmers automatisch und in Sachen Leistungen gleichberechtigt mitversichert. Bei PKV-Mitgliedern ist dies nicht der Fall.
3. Pflichtversicherung: Pflegeversicherung
Die Pflegeversicherungspflicht ist das jüngste Mitglied der Sozialversicherung, denn sie wurde erst 1995 als eigenständige Versicherungsform im Zuge des elften Buches Sozialgesetzbuch eingeführt. Sie ist die direkte Reaktion auf die Tatsache, dass die Deutschen zwar im Schnitt immer älter werden, dadurch aber auch die Anzahl derer steigt, die im Alter (oder auch früher) pflegebedürftig werden.
Über die Pflegeversicherung soll vermieden werden, dass diese Personen bzw. ihre Angehörigen durch die Kosten, die eine Pflege verursacht, in eine Armutsfalle geraten. Allerdings ist die Pflegeversicherung nicht unbeschränkt gültig, sondern ihr Zahlungsniveau hängt direkt mit den unterschiedlichen Pflegestufen zusammen, die seit Beginn 2017 mit dem Pflegestärkungsgesetz II in fünf Unterkategorien (Pflegegrade) gegliedert werden, die sich an der Selbstständigkeit des Pflegebedürftigen orientieren:
1. Geringe Beeinträchtigung
2. Erhebliche Beeinträchtigung
3. Schwere Beeinträchtigung
4. Schwerste Beeinträchtigung
5. Schwerste Beeinträchtigung + besondere Versorgungsanforderungen
Erst die Einstufung eines Sachverständigen nach dem jeweiligen Pflegegrad ermöglicht es, die dafür vorgesehenen Gelder freizumachen. Einzahlungspflichtig sind alle sozialversicherungspflichtigen Angestellten bzw. alle, die gesetzlich krankenversichert sind. Für Privatversicherte besteht jedoch die Pflicht, ebenso privat eine Pflegeversicherung abzuschließen.
4. Pflichtversicherung: Rentenversicherung
Die Rentenversicherungspflicht ist der Garant dafür, eine an der Einzahlungsdauer und dem Lebens-Gehaltsniveau orientierte Rente zu bekommen. Diese Rente wird aufgeteilt in:
- Altersrente
- Erwerbsfähigkeitsminderungsrente
- Hinterbliebenenrente
Sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer müssen automatisch in die Rentenversicherung einzahlen und zwar 19,9 % des Bruttogehalts. Selbstständige, sofern es sich nicht um Künstler bzw. Publizisten handelt, sind von der Versicherungspflicht ausgeschlossen. Für Beamte, Richter sowie Berufs- und Zeitsoldaten besteht indes keine Versicherungspflicht, da deren Pensionen direkt über die Staatskasse abgewickelt werden.
5. Pflichtversicherung: Unfallversicherung
Der Kreis der Sozialversicherung schließt sich mit der Unfallversicherungspflicht. Im Gegensatz zu allen anderen Versicherungen dieses Pakets werden die Zahlungen jedoch ausschließlich durch die Arbeitgeber aufgebracht. Gemäß dem siebten Buch Sozialgesetzbuch sind lediglich folgende Gruppen von der Pflichtmitgliedschaft ausgenommen:
- Beamte
- Wehr- und Zivildienstleistende
- Geistliche
- Ärzte und Apotheker
Für Beamte beispielsweise gelten deshalb Sonderregelungen bezüglich Unfallruhegehältern und der Versorgung von Hinterbliebenen. Ärzte sowie verwandte Berufe unterliegen indes keiner Pflicht, haben aber die Option, sich freiwillig zu versichern.
Die Unfallversicherung selbst soll indes sicherstellen, dass praktisch Jedermann bei Arbeitsunfällen und dem Eintreten von anerkannten Berufskrankheiten abgesichert ist. Darüber hinaus sorgt die Unfallversicherung auch für den Schutz von Schülern, Studenten, Ehrenamtlern, Nothelfern usw.
6. Pflichtversicherung: Kfz-Haftpflichtversicherung
Da mit fremdangetriebenen Kraftfahrzeugen bei Unfällen schwere Schäden an Menschen und Material entstehen können, besteht in Deutschland eine Pflicht für jeden Kfz-Halter, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Diese umfasst laut § 2 der Fahrzeug-Zulassungsordnung alle „nicht dauerhaft spurgeführte Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden“. Um ein Umgehen dieser Pflichtversicherung zu verhindern, ist das Vorhandensein einer Versicherungs-Deckungskarte obligatorisch, um ein Fahrzeug für den Straßenverkehr zuzulassen. Bei zulassungsfreien Fahrzeugen wie Mofas, Krankenrollstühlen wird die Versicherung über das Kennzeichen sichergestellt, dass jährlich neu bei der Versicherungsgesellschaft erworben werden zulassungsfreien Fahrzeugenmuss. Gleichsam definiert § 4 des Pflichtversicherungsgesetzes Mindestdeckungssummen für verschiedene Schäden:
- Personenschäden mindestens 7,5 Millionen Euro
- Sachschäden mindestens 1,12 Millionen Euro
- Anderweitige Vermögensschäden 50000 Euro.
Bei grober Fahrlässigkeit haben die Versicherer allerdings die Möglichkeit, die gezahlte Summe vom Versicherungsnehmer ganz oder teilweise zurückzufordern. Dabei bildet die Kfz-Haftpflichtversicherung nur die verpflichtende Basis. Halter haben zudem die Möglichkeit, unter Beibehaltung der Haftpflicht zusätzliche Leistungen zu buchen („Teilkasko“, „Vollkasko„). Diese Zusatzversicherungen decken dann auch Schäden am eigenen Fahrzeug ab, was die Haftpflicht ausklammert.
7. Pflichtversicherung: Berufshaftpflichtversicherung
Wer als Selbstständiger einen Beruf ausübt, durch den bei falscher Ausführung andere zu Schaden kommen können, ist ebenfalls verpflichtet, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Legitimiert wird diese Pflicht durch die Paragraphen der jeweiligen Berufe:
- Architekten
- Ärzte
- Dolmetscher
- Ingenieure
- Notare
- Rechtsanwälte
- Steuerberater
- Versicherungsmakler
- Wirtschaftsprüfer
Dabei schützt die Berufshaftpflicht nicht nur vor direkten Forderungen Dritter, die durch einen beruflichen Fehler entstanden sind, sondern auch in deren Umfeld (Beispiel: Mandant stolpert in Ingenieursbüro und bricht sich einen Zeh).
Oft verwechselt wird die Berufshaftpflicht mit der sogenannten Betriebshaftpflichtversicherung. Während jedoch die Berufshaftpflicht tatsächlich gesetzlich zwingend für die genannten Berufsgruppen vorgeschrieben ist, ist die Betriebshaftpflicht für alle anderen unternehmerischen Zweige optional, wenngleich empfehlenswert. Damit ist die Berufshaftpflicht zwar für Anwälte und Co. gleichzeitig eine Betriebshaftpflicht, jedoch gilt dies nicht vice versa.
8. Pflichtversicherung: Jagdhaftpflichtversicherung
Wer in Deutschland eine Jagdscheinprüfung abgelegt hat und durch das Erteilen eines Jagdscheins zum Jagdausübungsberechtigten wird, der ist beim Lösen bzw. Verlängern dieses verpflichtet, eine Jagdhaftpflichtversicherung abzuschließen.
Diese Jagdhaftpflichtversicherung besteht für den Fall, dass der Jäger in Ausübung seiner anerkannten waidmännischen Tätigkeit Dritten Schaden beibringt. Etwa durch:
- Sachschäden, die durch die Benutzung der Schusswaffe entstehen (Abprallende Kugel beschädigt Gartenhaus)
- Personenschäden, die entstehen (Jagdhund beißt bei der Nachsuche einen Treiber)
- Sachschäden, die bei der Revierarbeit entstehen (Im Bau befindlicher Hochsitz kippt auf das Fahrzeug eines Helfers)
Allerdings sind die Mindestdeckungssummen mit 500000 Euro für Personen- und 50000 Euro für Sachschäden vergleichsweise gering. Jäger, die zwar ihr Hobby aufgegeben haben, aber aus nostalgischen Gründen ihre Jagdwaffen behalten möchten, dürfen dies im Gegensatz zu Sportschützen zwar, sind dann aber ebenfalls verpflichtet, eine solche Haftpflichtversicherung aufrecht zu erhalten.
9. Pflichtversicherung: Hundehaftpflicht
Der Hund ist eines der wenigen Tiere, das in der menschlichen Gesellschaft gleichzeitig sehr weit verbreitet ist und zudem erhebliche Schäden verursachen kann. Im Gegensatz zu allen anderen Pflichtversicherungen besteht jedoch bei der Hundehaftpflicht in der BRD keine bundeseinheitliche Gesetzgebung, denn ihre Regelung ist Sache der einzelnen Bundesländer. In:
- Berlin
- Hamburg
- Niedersachsen
- Sachsen-Anhalt
- Schleswig-Holstein
- Thüringen
ist der Abschluss einer Hundehaftpflicht für den Besitzer jeglicher Hunderasse Pflicht. Alle anderen Länder haben keine generelle Pflicht, dafür aber den Zwang, Besitzer von „Listenhunden“ (auch als Kampfhunde bekannt) in die gesetzliche Versicherungspflicht zu nehmen.
Wie die Pflichten selbst unterscheiden sich dabei auch die Deckungssummen, sie betragen jedoch in der Regel meist 500000 Euro für Personen- und 250000 Euro für Sachschäden. Abgedeckt sind dabei alle Schäden, die durch das Tier selbst verursacht werden – diese umfassen nicht nur Augenscheinliches wie Bisse oder Autounfälle, sondern auch ungewünschte Deckungen anderer Hunde sowie Welpen von versicherten Hunden.
Fazit
Pflichtversicherungen sind mitnichten ein Akt staatlicher Bevormundung, als die sie von manchen dargestellt werden. Vielmehr sollen sie sicherstellen, dass bei den größten Risiken und Risikogruppen immer eine adäquate Absicherung vorhanden ist, damit Betroffene bzw. deren Angehörige nicht in einer Armutsfalle landen. Unter Umständen kann es jedoch nötig sein, sein Recht hier durch einen Anwalt erstreiten zu müssen – denn auch bei den Pflichtversicherungen zahlen die Versicherer manchmal nicht so schnell und umfassend, wie es angebracht wäre.