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Arbeitsrecht | 21.09.2022

Arbeitszeit­erfassung

Pflicht zur Arbeitszeit­aufzeichnung

10 Fragen und 10 Antworten zum Thema im Überblick

Fachbeitrag von Rechtsanwalt Dr. Uwe P. Schlegel

Ein Beschluss des Bundes­arbeits­gerichts (BAG) zur Arbeitszeit­aufzeichnungs­pflicht sorgt für Aufregung und stößt auf ein außergewöhnliches großes Medienecho. Nachfolgend eine Reihe wichtiger Fragen und dazugehörige Antworten, die sich allesamt mit dem Beschluss des BAG befassen.

Was hat das BAG entschieden?

Das BAG hat am 13.09.2022 in einem Beschluss­verfahren entschieden (BAG, Beschl. v. 13.09.2022 – 1 ABR 22/21). Was da genau entschieden wurde weiß noch keiner so ganz genau. Bislang hat das BAG lediglich eine Presse­mitteilung veröffentlicht. Spannend wird es werden, wenn der mit Gründen versehene Beschluss des Gerichts veröffentlicht werden wird. Erfahrungs­gemäß dauert das noch einige Zeit. Vor November 2022 wird das wahrscheinlich nichts. Immerhin so viel scheint schon jetzt klar: Nach Auffassung des BAG besteht die Pflicht eines (jeden) Arbeit­gebers, die Arbeitszeit der bei ihm beschäftigten Arbeit­nehmer aufzuzeichnen.

Worauf stützt das BAG die Aufzeichnungspflicht?

Das Gericht stützt seine Rechts­auffassung nach derzeitigem Stand der Dinge im Wesentlichen auf zwei Gesichts­punkte. Zum einen verweist das BAG auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichts­hofs (EuGH). Dieser hatte schon im Mai 2019 entschieden, dass die Mitglied­staaten der EU verpflichtet sind, effektive Maßnahmen zu ergreifen, um die Aufzeichnung der Arbeitszeit von Arbeit­nehmern sicherzustellen (EuGH, Urt. v. 14.05.2019 – C-55/18, Fall „CCOO“). Diese Vorgabe hat der Gesetzgeber in Deutschland bislang nicht beachtet. Der zweite Gesichts­punkt, auf den sich das BAG in seiner Argumentation zu stützen scheint, ist das Arbeits­schutz­gesetz und dort § 3 Abs. 2 Nr. 1. Dort lässt sich zwar nichts von einer Pflicht zur Arbeitszeit­aufzeichnung nachlesen, das BAG scheint die zitierte Bestimmung vor dem Hintergrund der EuGH-Ent­scheidung aber dennoch in eben diesem Sinne zu interpretieren.

Wieso ist der Gesetzgeber bislang den Vorgaben des EuGH aus dem Mai 2019 nicht nachgekommen?

Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Vermutlich scheiterten alle bisherigen Bemühungen um eine gesetzliche Regelung zur Arbeitszeit­aufzeichnung an Großer Koalition und Ampel­koalition, also an den in der Vergangenheit bzw. aktuell gebildeten Regierungs­koalitionen. Weder CDU (in der Großen Koalition) noch FDP (in der Ampel­koalition) schienen an einer Umsetzung interessiert, denn beide Parteien befürchteten Nachteile für die Wirtschaft. Hier hat das BAG möglicher­weise die Geduld mit dem Gesetzgeber verloren und die Rechtsprechung des EuGH sowie das Arbeits­schutz­gesetz herangezogen, um eine Pflicht zur Arbeitszeit­aufzeichnung anzuerkennen.

Wer muss aufzeichnen und was muss denn jetzt genau aufgezeichnet werden?

Das alles ist so wie vieles derzeit unklar. Die in der jüngeren Vergangenheit diskutierten Ausnahmen für sog. Klein­betriebe (was auch immer darunter zu verstehen ist), dürften in dem Beschluss des BAG nach dem aktuellen Stand der Dinge keine Beachtung finden. Die Ent­scheidung des EuGH aus dem Jahr 2019 hat dem jeweiligen nationalen Gesetzgeber durchaus die Möglichkeit eingeräumt, Ausnahmen vorzusehen. Hier rächt sich die Un­tätigkeit des deutschen Gesetz­gebers.

Zur Frage, was aufzuzeichnen ist, gilt: Nimmt man die bislang geltenden Regelungen zur Arbeitszeit­aufzeichnung etwa bei sog. Minijobbern zum Maßstab, dann wäre dreierlei aufzuzeichnen:

  • Beginn,
  • Ende und
  • Gesamtdauer der Arbeitszeit.

Gilt die Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung ab sofort?

Ja, so wird man die Ent­scheidung des BAG wahrscheinlich verstehen müssen.

Was erwartet Arbeitgeber, die gegen die Aufzeichnungspflicht verstoßen?

Arbeitgeber, die sich nicht an die Vorgaben des BAG halten, werden unter anderem bei Auseinander­setzungen mit Arbeit­nehmern über die von diesen geleisteten Arbeits­zeiten damit rechnen müssen, einen Beweislast­nachteil hinnehmen zu müssen. Bleibt die vom jeweiligen Arbeit­nehmer geleistete Arbeitszeit im Unklaren, wird der Arbeitgeber möglicher­weise dennoch zur Zahlung verurteilt werden, weil er die Pflicht zur Arbeitszeit­aufzeichnung nicht beachtet hat.

Ist die Verletzung der Aufzeichnungspflicht bußgeldbewehrt?

Nein, das ist derzeit nicht der Fall.

Kommt die Stechuhr zurück? Ist das nicht unnötige Bürokratie? Was ist mit der sog. Vertrauensarbeitszeit?

Nein, die Stechuhr kehrt nicht zurück. Das ist grober Unfug! Von einer Stechuhr kann keine Rede sein. Der Arbeitgeber kann sich im Zusammenhang mit der Arbeitszeit­aufzeichnung der Hilfe elektronischer bzw. digitaler Mittel bedienen. Die Stechuhr ist in dieser Diskussion ein „Kampf­begriff“, der vom eigentlichen Thema ablenken möchte.

Ja, der Beschluss des BAG ist mit büro­kratischem Aufwand verbunden, jedenfalls für diejenigen Arbeitgeber, die bislang die Arbeitszeit ihrer Arbeit­nehmerinnen und Arbeit­nehmer nicht erfasst haben. Millionen Arbeitgeber haben das in Vergangenheit bereits getan, denn es gibt schon sehr lange rechtliche Vorgaben zur Arbeitszeit­aufzeichnungs­pflicht in bestimmten Branchen sowie allgemein bei sog. Minijobbern. Zudem habe sehr viele Unternehmen und Betriebe freiwillig die Arbeitszeit der bei ihnen Beschäftigten erfasst. Der bürokratische Aufwand hält sich nach den bisherigen Erfahrungen in Grenzen. Moderne Technik macht das möglich.

Die sog. Vertrauens­arbeitszeit war und ist rechtlich tot! Sie war zu keinem Zeitpunkt ein arbeits­rechtlich un­bedenkliches Instrument zur Regelung der durch Arbeit­nehmer ab­zuleistenden Arbeit bzw. Arbeitszeit. In der Rechts­praxis war häufig zu beobachten, dass die sog. Vertrauens­arbeitszeit letztlich ein Instrument dafür war, dass durch den Arbeit­nehmer geleistete Arbeit nicht ausreichend vergütet wurde, da bezahlte Über­stunden nach den Regeln der Vertrauens­arbeitszeit nicht vorkamen oder eben nicht vorkommen durften. Letztlich lief und läuft eine Vertrauens­arbeitszeit darauf hinaus, dass aus einem Dienst- bzw. Arbeits­vertrag (§ 611a BGB) unzulässigerweise ein auf einen Arbeits­erfolg hin aus­gerichteter Werkvertrag wird. Damit hat der Beschluss des BAG lediglich einen geltenden Rechts­zustand wieder­gegeben und kein neues Recht geschaffen.

Kann der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer verlangen, dass dieser bei der Arbeitszeitaufzeichnung mitwirkt?

Ja, das wird man im Grundsatz so sehen können.

Ist jetzt noch mit einer gesetzlichen Regelung zur Arbeitszeitaufzeichnung zu rechnen?

Das weiß im Augenblick niemand. Voraussetzung wäre eine Einigung innerhalb der Ampel­koalition. Das zuständige Ministerium hat angekündigt, zunächst die Gründe des Beschlusses des BAG prüfen zu wollen. Wahrscheinlich hat man in dem von der SPD geführten Ministerium jetzt keine große Eile mehr, denn das BAG hat im Wesentlichen das bestätigt, was das Arbeits- und Sozial­ministerium in der Vergangenheit bereits mehrfach angeregt hatte, ohne sich gegen CDU und FDP durchsetzen zu können.

Ein Fachbeitrag von [Anbieter­kenn­zeichnung]

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