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Sozialrecht | 03.06.2022

Erwerbs­minderungs­rente

Wege­fähigkeit: Erwerbs­minderungs­rente bei Abschaffung des eigenen Pkw

Abschaffung von Auto kann Erwerbs­minderungs­rente recht­fertigen

Fachbeitrag von Rechtsanwalt Gerd Klier

Eine Rente wegen Erwerbs­minderung kann es nicht nur dann geben, wenn die Erwerbs­fähigkeit keine drei Stunden täglich mehr beträgt.

Vielmehr kann es die Rente wegen Erwerbs­minderung auch bei nicht mehr vorhandener Wege­fähigkeit geben.

1. Was ist Wegefähigkeit? – Fähigkeit Fußwege und Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel

Nach § 43 Absatz 2 SGB VI hat ein Ver­sicherter Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbs­minderung, wenn er nicht mehr wegefähig ist. Die Wege­fähigkeit setzt voraus, dass der Versicherte nicht viermal am Tag Wegstrecken von über 500 Metern innerhalb von 20 Minuten zu Fuß bewältigen und ferner zweimal täglich während der Haupt­verkehrs­zeit mit öffentlichen Verkehrs­mitteln fahren kann.

Hiermit ist gemeint, dass die Fähigkeit bestehen muss, täglich zu einer Arbeits­stelle zu kommen und wieder nach Haus zu kommen. Hierzu muss die Fähigkeit der genannten Fußwege bestehen, was meint:

  • vor der Arbeit von zu Hause zu öffentlichen Verkehrs­mitteln zu gelangen
  • von den öffentlichen Verkehrs­mitteln zur Arbeit zu gelangen
  • nach der Arbeit wieder zu öffentlichen Verkehrs­mitteln zu gelangen
  • von öffentlichen Verkehrs­mitteln wieder nach Haus zu gelangen.

Die Wegstrecke von 500 m ist pauschal gesetzt. Diese ist unabhängig davon, ob innerhalb dieser 500 m tatsächlich eine Haltestelle vorhanden ist und dort öffentliche Verkehrs­mittel regelmäßig verkehren. Es soll zumutbar sein, in die Nähe einer solchen Haltestelle zu ziehen, unabhängig davon, ob man zur Miete oder im Eigentum wohnt.

Bewältigt man viermal täglich die Wegestrecke von 500 m jeweils in 20 Minuten zu Fuß, reicht dies noch nicht für die Wege­fähigkeit aus. Zusätzlich muss man zweimal täglich während der Haupt­verkehrs­zeit mit öffentlichen Verkehrs­mitteln fahren können. Dies kann beispiels­weise ausgeschlossen sein, bei bestimmten Atemwegs­erkrankungen oder bei schmerzhaften orthopädischen Erkrankungen, welche kein Sitzen und Stehen in öffentlichen Verkehrs­mitteln erlauben.

2. Wegefähigkeit mit eigenem Pkw

Ist die Weg­fähigkeit aufgrund der notwendigen Fußwege oder aufgrund der Nicht­nutzung öffentlicher Verkehrs­mittel nach den oben geschilderten Kriterien nicht mehr gegeben, wird geprüft, ob die Wege­fähigkeit sich aus der Nutzung des eigenen Pkw ergibt. Kann man selbst noch einen eigenen Pkw führen, ist man in der Lage, eine Arbeits­stelle aufzusuchen und nach der Arbeit mit dem Pkw wieder nach Haus zu kommen. Mithin besteht dann die Wege­fähigkeit.

3. Was ist bei Abschaffung des eigenen Pkw?

Besteht die Wege­fähigkeit nur noch durch die Nutzung des eigenen Pkw und wird dieser Pkw abgeschafft, dann ist man im Ergebnis nicht mehr wegefähig. Dieses Problem hatte das Landes­sozial­gericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 08.10.2021 zum Akten­zeichen L 4 R 1015/20 zu entscheiden.

Hier beantragte die Klägerin bei ihrer Renten­versicherung die Rente wegen Erwerbs­minderung. Sie verfügte sowohl über eine Fahrerlaubnis und wie auch über einen Pkw. Die Wege­fähigkeit bestand nur noch mit Nutzung des Pkw. Daher lehnte die Renten­versicherung die Rente wegen Erwerbs­minderung ab. Der Widerspruch wurde mit Wider­spruchs­bescheid zurück­gewiesen, dass die Klägerin beim Sozial­gericht Köln Klage erhob. Während des Klage­verfahrens schaffte die Klage den Pkw ab. Hierauf war die Klage erfolgreich. Die Renten­versicherung ging in Berufung, welche vom Landes­sozial­gericht zurück­gewiesen wurde.

Nach dem Urteil des Berufungs­gerichts ist der Grund für die Abschaffung des Pkw unerheblich. Das Gericht stellte zugleich klar, dass es nicht darauf ankommt, ob die Abschaffung auf einer subjektiv empfundenen Fahr­unsicherheit erfolgt oder aus technischen Umständen wie beispiels­weise Ablauf des TÜV. Es ist es unerheblich, ob die Abschaffung auf wirtschaftlichen Erwägungen beruhe.

Entgegen der Ansicht der Renten­versicherung lässt sich ein Ausschluss des Anspruchs nicht begründen. Der Ausschluss nach § 103 SGB VI der Renten­leistung ist möglich, wenn die erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt wurde. Dies war hier nicht der Fall. Es wurden keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen herbeigeführt.

4. Schlussfolgerung für vergleichbare Fälle

Wenn die weitgehend gesund­heitlich eingeschränkte Gehfähigkeit nicht vorsätzlich herbeigeführt wird, ist kein Ausschluss der Renten­zahlung nach § 103 SGB VI möglich. Daher kann die Rente wegen Erwerbs­minderung nicht versagt werden aufgrund von:

  • Abschaffung eines Pkw
  • Nicht­anschaffung eines Pkw
  • Verlust der Fahrerlaubnis
  • Nichterwerb der Fahrerlaubnis

Mangels einer Rechts­grundlage besteht keine Obliegen­heit, einen Pkw an­zuschaffen oder zu behalten, bzw. eine Fahrerlaubnis zu erwerben, bzw. zu behalten oder wieder­zuerlangen.

Ein Fachbeitrag von [Anbieter­kenn­zeichnung]

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