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Erbrecht und Sozialrecht | 08.09.2015

Vermögensfrage

Das Behindertentestament: Wie das Vermögen bewahren? - Über Lösungsansätze und die Gefahren bei Übertragung zu Lebzeiten

Die sozialhilferechtliche Problematik

Eine besondere Schwierigkeit bei der Gestaltung von Testamenten tritt auf, wenn ein behindertes Kind beteiligt ist. Im Erbfall gilt nämlich gemäß SGB XII ( wie schon vorher in § 2 BSHG) das Nachrangprinzip: Wer sich selbst helfen kann oder die erforderliche Hilfe von anderen bekommt hat keinen Anspruch auf Unterstützung aus öffentlicher Hand. Danach ist gemäß § 90 I „das gesamte verwertbare Vermögen“ einzusetzen.

Ausnahmen gelten nur beim so genannten „Schonvermögen“, dann aber wird bei fehlender oder unzumutbarer Verwertungsmöglichkeit (beispielsweise bei einem selbst bewohnten Haus) die Sozialhilfe in Form eines Darlehens gewährt. Ein behindertes Kind muss somit sein Erbe vollumfänglich für seinen eigenen Bedarf der Lebensführung einsetzen.

Man könnte nun auf den Gedanken kommen, das Problem einfach durch Verweisung auf den Pflichtteil zu lösen – schließlich handelt es sich dabei um einen „höchstpersönlichen Anspruch“, der gemäß § 852 ZPO nur beschränkt pfändbar ist. Mit anderen Worten: Kein Gläubiger kann einen pflichtteilsberechtigten Schuldner zwingen, seinen Pflichtteil geltend zu machen. Aber auch hier ist der Staat privilegiert: Nach § 92 I 4 SGB XII kann der Anspruch sogar dann übergeleitet werden, wenn der behinderte Erbe dabei durch Bestehen einer Pflichtteilsstrafklausel das für den späteren Erbteil geltende Schlusserbenrecht verliert.

Die verfassungsrechtliche und moralische Beurteilung

Bei der rechtlichen Bewertung ist zu berücksichtigen, dass 1994 ein Verbot der Diskriminierung Behinderter in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Des Weiteren müssen sich alle Umgehungsversuche an der Frage der Sittenwidrigkeit messen lassen. So formuliert Günther H. Raiser (MDR 1995, 237,238): „Ein Behindertentestament oder Erbvertrag, die konstruktiv zu dem Ergebnis führen, dass das einem Behinderten als Pflichtteil gebührende Vermögen letztlich dem Sozialhilfeträger entzogen wird, obwohl dieser zuvor nicht unerhebliche Leistungen erbracht hat, sind wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gemäß § 138 BGB nichtig.“

Lösungsansätze

Es ist viel überlegt worden, wie – ähnlich wie bei der Frage der Vermögensübertragung auf die Kinder zur Verhinderung des späteren Verbrauchs durch Pflegekosten – der Zugriff des Staates auf das Familienvermögen abgewendet werden kann.

Ansatzpunkt ist, das Vermögen selbst dem Zugriff des Staates zu entziehen, auf der anderen Seite aber Geldmittel zur Verfügung zu stellen, um dem Behinderten ein angenehmeres Leben zu ermöglichen.

Dafür käme eine entsprechende Auflage an Dritte in Betracht. Diese Lösungsidee scheitert aber daran, dass die so erfolgten vermögenswerten Zuwendungen nicht auf den Pflichtteil anzurechnen sind.

Des Weiteren könnte man auf die Idee kommen, das Vermögen bereits zu Lebzeiten auf nicht behinderte Familienangehörige, insbesondere weitere Kinder zu übertragen. Die Spekulation auf die 10-Jahres-Frist des § 2??? mit der Folge, dass auch keine Pflichtteilsergänzungsansprüche entstehen weist aber die Schwierigkeit auf, dass bei einer Hausübertragung und der üblichen Einräumung eines Wohnrechts und/oder Nießbrauchs nach der Rechtsprechung die Frist nicht zu laufen beginnt. Für sich alleine gesehen bringt dies also auch nicht den gewünschten Erfolg.

Der BGH bezieht Stellung

Findige Juristen haben jedoch eine Lösungsmöglichkeit entwickelt: Die Vorerbeneinsetzung verbunden mit einer Testamentsvollstreckung. Mit großer Spannung wurde erwartet, wie sich die höchstrichterliche Rechtsprechung dazu stellen werde. Der BGH hat sich in zwei Entscheidungen mit dieser Frage beschäftigt.

In einer ersten Entscheidung vom 21.3.1990 verneinten die Richter zwar die Sittenwidrigkeit der Gestaltung, ließen aber offen, ob dies nicht anders zu beurteilen sei, „wenn der Erblasser ein beträchtliches Vermögen hinterlassen hätte und der Pflichtteil des Behinderten so hoch wäre, dass daraus – oder sogar aus den Früchten – die Versorgung sichergestellt wäre.“

In seiner Entscheidung vom 20.10.1993 bestätigte der BGH dann zur Erleichterung vieler Betroffener diese Einschätzung – wobei allerdings auch hier kein sehr hohes Vermögen vorlag. Eine solche Entscheidung steht nach wie vor aus, es ist aber festzustellen, dass die Sozialhilfeträger in der Regel diese Gestaltungsmöglichkeit grundsätzlich akzeptieren (Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.10.1993, Az. IV ZR 231/92).

Die Vorerbschaftslösung

Nach den beiden Urteilen wird dieser Lösungsansatz weitgehend als grundsätzlich richtig angesehen. Der Vorerbe gilt zwar – auch erbschaftssteuerlich – als Vollerbe, muss aber die Substanz an den Nacherben weitergeben und darf nur die Früchte ziehen. Dabei muss eine Einsetzung als „nicht befreit“ erfolgen, weil sonst doch – wenn auch eingeschränkte Verwertungsmöglichkeiten bestehen. Die Idee besteht darin, dass nach überwiegender Ansicht dem Sozialhilfeträger eine Überleitung des Ausschlagungsrecht – anders als beim Recht auf Geltendmachung der Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche – nämlich nicht zusteht.

Verbunden werden sollte diese Lösung mit der Einsetzung eines Dauertestamentsvollstreckers. Diesem wird mit einer Verwaltungsanordnung nach § 2216 BGB auferlegt, dem Behinderten aus den Früchten beispielsweise folgende Zuwendungen zu kommen zu lassen: Taschengeld, Kleidung, Bettwäsche, persönliche Anschaffungen zur Unterstützung von Hobbies und Liebhabereien mit Schwerpunkt auf eine Stärkung der Psyche, Zimmereinrichtung, Freizeiten, Urlaubsaufenthalte, Kuraufenthalte, Besuche bei Verwandten und Freunden und ärztliche Zusatzleitungen wie Brillen und Zahnersatz.

Unbedingt notwendig ist es dabei, dem Behinderten ein Vor-Erbteil zuzuerkennen, der über dem Pflichtteilsanspruch liegt. Sonst gelten nämlich nach § 2306 I 1 BGB alle notwendigen Anordnungen zur Durchführung des Testamentszwecks als nicht angeordnet und fallen damit automatisch weg – und alle Mühe war umsonst.

Gefahren bei Übertragung zu Lebzeiten

Wie oben ausgeführt setzt die Übertragung eines Eigenheims gegen Wohnrechtseinräumung zu Lebzeiten auf nicht behinderte Kinder die 10-Jahresfrist für den Wegfall der Pflichtteilsergänzungsansprüche nicht in Lauf. Dies gilt übrigens auch für schuldrechtliche Konstruktionen, beispielsweise durch Abschluss eines Mietvertrages. Trotzdem kann dies als ein Teil des Lösungskonzeptes hilfreich sein. Bei der Schenkung wird nämlich der Wert bei Übertragung zu Grunde gelegt – der in der Regel steigen wird, und es wird die Gegenleistung in Abzug gebracht. Wird also ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt, so verringert sich der Betrag für die Pflichtteilsergänzungsansprüche erheblich.

Hierbei muss aber grundsätzlich beachtet werden, dass im Gegenzuge bei der Vorerbeneinsetzung ein großzügiger Aufschlag als Ausgleich vorzunehmen ist. Dabei kommt je nach Einzelfall eine Erhöhung der Quote oder ein Geldbetrag als zusätzliches Vorvermächtnis in Betracht. Unterbleibt dies, würde wieder die ganze Konstruktion gemäß § 2306 I BGB zusammenbrechen.

Zusätzliche Risiken

Wichtig ist, dass zwischen Testamentsvollstrecker und Betreuer keine Personenidentität besteht. Ansonsten droht gemäß § 1795ff BGB die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers mit der Aufgabe der Wahrnehmung der Rechte des Betreuten gegen den Testamentsvollstrecker.

Zu vermeiden ist auch unbedingt die Entstehung einer Gesamthandsgemeinschaft nach dem Erbfall. Bei Eigenheimen oder Gesellschaftsanteilen sollte daher entweder eine Übertragung zu Lebzeiten, eine gesellschaftsrechtliche Lösung oder eine Teilungsanordnung vorgenommen werden.

Zusammenfassung

Beim Behindertentestament empfiehlt sich in der Regel eine Kombination aus einer Einsetzung als nicht befreiter Vorerbe, Dauertestamentsvollstreckung mit Verwaltungsanordnung und eventuell einer Teilübertragung zu Lebzeiten. Unkalkulierbare Risiken gibt es bei sehr werthaltigen Nachlässen, und auch die Gestaltung im Einzelfall sollte unbedingt einem erfahrenen Juristen überlassen bleiben.

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