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Versicherungsrecht | 23.03.2015

Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit

Burnout, Depressionen und psychische Erkrankungen: Wann zahlt die Berufs­unfähigkeits­versicherung?

Über die Leistungsvoraussetzungen und die häufigsten Fallstricke bei der Regulierung

Fachbeitrag von Rechtsanwalt Dr. Frank Breitkreutz

Psychische Erkrankungen sind ein Zeichen unserer Zeit: Immer mehr Menschen leiden unter Stress, Burnout und Depressionen. In Deutschland sind psychische Erkrankungen mittlerweile die häufigste Ursache für Frühverrentungen. Auch bei den Gründen für die Berufsunfähigkeit führen Burnout & Co. mittlerweile die Rangliste an. Doch wann zahlt die Berufsunfähigkeitsversicherung? Angesichts der Bedeutung des Themas für die Betroffenen und der voraussehbaren Entwicklung von (Stress-)Erkrankungen skizziert dieser Beitrag kurz die Leistungsvoraussetzungen der privaten BUV bei psychischen Erkrankungen (I) und sensibilisiert für die häufigsten – regelmäßig vermeidbaren – Fallstricke bei der Regulierung (II).

Da psychisch vermittelte Erkrankungen einerseits oft nur langwierig zu behandeln sind und andererseits die körperliche wie auch geistige Leistungsfähigkeit massiv beeinträchtigen, stellen sie ein erhebliches wirtschaftliches Risiko dar. Die potentiellen Auswirkungen auf die eigene Arbeitskraft haben aktuell ca. 15 Millionen Deutsche mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung (nachstehend: BUV) abgesichert.

Im Bereich der psychisch vermittelten Berufsunfähigkeit gelten allerdings einige Besonderheiten:

Zunächst fällt hier in der Praxis der Nachweis des Versicherungsfalls häufig schwerer als bei „klassischen“ (= körperlichen) Beschwerden. Denn regelmäßig handelt es sich um schleichende, schwer zu beschreibende Vorgänge, für die ein objektiver und physiologisch nachvollziehbarer Befund nicht vorliegt. Ärzte, Sachverständige, Versicherer und Gerichte sind daher überwiegend auf die Darstellung des subjektiven Befindens des Patienten angewiesen. Dies wiederum erzeugt bei allen Beteiligten eine gewisse Skepsis, die bis hin zum Verdacht der Simulation gehen kann.

Auch sind Leistungsfälle in der BUV wegen der teils jahrzehntelangen Rentenzahlungen sehr kostenintensiv: Regelmäßig belaufen sich die Positionen für die Versicherungsgesellschaften auf hohe sechsstellige, nicht selten auch auf siebenstellige Summen, die naturgemäß kritischer betrachtet werden.

Für Betroffene, die sich gegen das Risiko des Arbeitsausfalls versichert haben – und oft über Jahre oder Jahrzehnte ihren Teil der (Prämien-)Leistung erbrachten – ist das zögerliche Regulierungsverhalten bei psychischen Erkrankungen nicht nur schwer nachvollziehbar. Gerade psychisch Erkrankte trifft die Ablehnung oft auch in einer Lebensphase, in der Kraft für einen langwierigen, belastenden Rechtsstreit – um existentielle Leistungen! – nur bedingt vorhanden ist.

Dabei sind – sofern eine hinreichende Leistungsminderung durch ärztliche Befunde nachgewiesen ist – die Erfolgsaussichten einer Auseinandersetzung durchaus vielversprechend: Zum einen muss nach den jeweiligen Versicherungsbedingungen oft „nur“ eine Beeinträchtigung von 50 % vorliegen; zum anderen sind nach ständiger Rechtsprechung bei den naturgemäß nicht (völlig) objekti- vierbaren psychiatrischen Erkrankungen die Anforderungen an den Erkrankungsnachweis deutlich herabgesetzt. Insgesamt kann deshalb oft ein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht werden – notfalls auf gerichtlichem Wege.

I. Rechtliche Aspekte einer psychisch vermittelten Berufsunfähigkeit

Die BUV sichert das Risiko eines sozialen Abstiegs aufgrund vorzeitiger Erwerbsunfähigkeit ab. Hierzu vereinbart der Versicherte gegen Zahlung eines Entgelts mit dem Versicherer bestimmte Leistungen, in der Regel eine monatliche Rente, für den Fall einer nach Vertragsschluss eintretenden Berufsunfähigkeit. Der Abschluss einer solchen Police kann nur dringend angeraten werden: Nach aktuellen Hochrechnungen können zwischenzeitlich mehr als 25 % aller Berufstätigen ihrer Arbeit wegen einer Krankheit nicht bis zum Eintritt in das gesetzliche Rentenalter nachgehen.

Berufsunfähig ist nach der gesetzlichen Definition in § 172 Abs. 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG), wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge von Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall ganz oder teilweise, voraussichtlich auf Dauer, nicht mehr ausüben kann. Die Definition der Berufsunfähigkeit enthält damit sowohl ein Prognose-Element, nämlich die Forderung der Dauerhaftigkeit, als auch ein Intensitätsmoment, nämlich die Forderung einer derart erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung, dass der jeweilige Beruf nicht weiter ausgeübt werden kann.

Die Prognose voraussichtlicher Dauerhaftigkeit

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit führt nur dann zu einer leistungsauslösenden Berufsunfähigkeit, wenn sie voraussichtlich dauernd ist. Die Beurteilung der Dauerhaftigkeit wiederum erfordert eine medizinisch fundierte Prognose des Inhaltes, dass nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft eine Erwartung auf Besserung nicht mehr gerechtfertigt ist.

Diesbezüglich wird von der Rechtsprechung überwiegend ein Zeitraum von drei Jahren angesetzt. Teilweise ist dieser Drei-Jahres-Zeitraum in die Bedingungen der Versicherungsgesellschaften aufgenommen worden, teilweise wird aber auch – und dies ist für die Versicherten deutlich vorteilhafter – auf einen Zeitraum von lediglich sechs Monaten abgestellt.

Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit zu mindestens 50 %

Nach den Musterbedingungen liegt eine Berufsunfähigkeit dann vor, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf (dauerhaft) zu mehr als 50 % erwerbsunfähig ist. Dies unterscheidet die Berufsunfähigkeitsversicherung beispielsweise von der privaten Krankentagegeldversicherung, die erst bei einer vollständigen (= 100 %igen) Erwerbsminderung bedingungsgemäße Leistungen vorsieht.

Im Zusammenhang mit der Minderung der Erwerbsfähigkeit wird oft übersehen, dass sich die Berufsunfähigkeit im versicherungsrechtlichen Sinne nicht ausschließlich aus gesundheitlichen Komponenten zusammensetzt. Die Beeinträchtigung der allgemeinen Leistungsfähigkeit oder Belastbarkeit ist deshalb nicht schlechthin maßgebend, ebenso wenig wie die rein zeitliche Betrachtung der unzumutbar gewordenen Tätigkeiten. Allein entscheidend ist viel mehr, wie sich die gesundheitliche Beeinträchtigung auf die konkret ausgeübte Tätigkeit auswirkt. Deshalb kann auch bei einer vergleichsweise hohen Restarbeitsfähigkeit eine vollständige Berufsunfähigkeit vorliegen, sofern bestimmte, die jeweilige Tätigkeit prägende Arbeitsschritte nicht mehr durchgeführt werden können.

Grundsätzlich können auch psychische Erkrankungen die Berufsunfähigkeit begründen. Für diesen Bereich wurden sogar deutliche Beweiserleichterungen entwickelt: Da es in der Psychiatrie keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit im naturwissenschaftlichen Sinne gibt, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof bereits eine Wahrscheinlichkeit von 80 % bis 90 % als das höchstmöglich erreichbare Maß zum Nachweis der Erkrankung ausreichend. Sind überdies, wie so oft, die psychisch vermittelten Beschwerden nicht objektivierbar, kann nach obergerichtlicher Rechtsprechung der Nachweis der Erkrankung auch dann geführt werden, wenn der Arzt/Sachverständige die Diagnose ausschließlich auf Patientenschilderungen stützt.

II. Leistungsantrag und Regulierung

Obwohl die Voraussetzungen der vereinbarten (Berufsunfähigkeits-)Leistung bei psychischen Erkrankungen oftmals vorliegen, erweist sich das Leistungsverfahren für nicht wenige Betroffene als Martyrium. Zermürbende, überlange Antragsbearbeitungen mit immer wieder neuen Nachfragen der Leistungsabteilungen und wiederholte Untersuchungen durch eigene Gesellschaftsärzte, deren Ergebnisse (= „keine Berufsunfähigkeit“) oft in erstaunlichem Kontrast zu den Befunden der fachärztlichen Vorbehandler und Kliniken stehen, gehören zwischenzeitlich zum Regelfall.

Vermehrt zu beobachten, gerade bei psychischen Erkrankungen, ist auch die Behauptung leistungsausschließender Anzeigepflichtverletzungen. Bei der Bearbeitung von Mandaten mit sehr hohen Schadenssummen konnte der Verfasser sogar wiederholt beobachten, dass durch die Versicherer – teils mit greifbar falschen Behauptungen – der Rücktritt bzw. die hilfsweise Anfechtung von Versicherungsverträgen erklärt und damit der Bestand des Vertragsverhältnisses insgesamt in Frage gestellt wurde.

Das Pokern gehört nicht nur zum guten Ton, denn aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht ist dieses Regulierungsverhalten durchaus lohnenswert: Fachanwälte und universitäre Lehrkräfte für Versicherungsrecht gehen davon aus, dass ab einer bestimmten Leistungshöhe zwischen 40 % und 60 % der Leistungsanträge unabhängig von ihrer Begründetheit pauschal abgewiesen werden. Nach Aussagen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft kommt es aber nur in 2 % der Fälle zu einer gerichtlichen Überprüfung, so dass auf diese Weise ein erhebliches Forderungsvolumen einfach von sich gewiesen werden kann.

Gleichwohl: Für die Versicherten steht viel – oft alles – auf dem Spiel und der überlegenen Fachkompetenz in den Leistungs- und Rechtsabteilungen der großen Versicherer kann auf Seiten der Betroffenen nur mit dem Rückgriff auf gleichfalls spezialisierte Berater begegnet werden. Der sorgfältigen Vorbereitung des Leistungsantrages kommt deshalb höchste Priorität zu. Im Idealfall wird bereits im Antragsverfahren und nicht erst bei Leistungsablehnung qualifizierte Beratung eingeholt – und zwar sowohl von einem auf psychische Erkrankungen spezialisierten Behandler als auch von einem möglichst medizinrechtlich versierten Rechtsanwalt. Auf diese Weise kann im Zusammenspiel von Behandler und Rechtsberater der medizinische Sachverhalt optimiert und möglichst „gerichtsfest“ aufbereitet werden, vor allem durch rechtzeitige Erhebung einschlägiger Befunde und – wichtig! – durch privatgutachterliche Bewertungen. Gleichzeitig werden durch eine strikte Fristen- und Obliegenheitskontrolle bzw. durch nachträgliche „Heilung“ anspruchsausschließende Versäumnisse vermieden.

Der hier investierte Aufwand ist in der Regel gut angelegt: Nicht selten gelingt es durch ein qualifiziertes Privatgutachten, die Versicherungen doch noch zu einer Regulierung zu bewegen bzw. Gerichte und (wesentlich wichtiger) gerichtlich bestellte Sachverständige vom Vorliegen des Leistungsfalls zu überzeugen. Kann man die Kraft aufbringen, die Verweigerungs- und Hinhaltetaktik der Versicherer zu akzeptieren, besteht durchaus Aussicht auf Erfolg.

Dies zeigen nicht zuletzt diverse obergerichtliche Entscheidungen zugunsten der Versicherten, mehr und mehr auch im Bereich von psychischen Erkrankungen Rechtsstreitigkeiten mit der Berufsunfähigkeitsversicherung werden durch eine bestehende Rechtsschutzversicherung finanziert.

Angesichts der durchaus realistischen Erfolgsaussichten haben sich mittlerweile auch erste Prozessfinanzierer in dieses Gebiet vorgewagt.

Zusammenfassung

Die Problemfelder der psychisch vermittelten Berufsunfähigkeit rücken langsam in das Bewusstsein von Ärzten, Sachverständigen und Gerichten. Angesichts der voraussehbaren Entwicklung von (Stress-)Erkrankungen werden sie künftig eine entscheidende Rolle spielen. Grundsätzlich ist die BUV bei Burnout, Depressionen & Co. eintrittspflichtig, sofern eine Minderung der Arbeitsfähigkeit um mindestens 50 % vorliegt und diese voraussichtlich für mindestens drei Jahre andauert. Aufgrund der primär subjektiven Vorgänge und Symptome bei den Betroffenen fällt allerdings der Erkrankungsnachweis schwerer als bei körperlichen Beschwerden. Deshalb und wegen der hohen Kosten für die Versicherer wird bei psychisch vermittelten Berufsunfähigkeiten überwiegend zögerlich reguliert.

Durch eine frühzeitige und richtige Weichenstellung, vor allem durch qualifizierte Privatgutachten, können leistungsunwillige Versicherer durchaus zur Einsicht bewegt werden, sofern die ärztlichen Befunde das Leistungsbegehren stützen. Oft wird sich jedoch eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht vermeiden lassen, stehen doch für die Betroffenen angesichts ihrer ausgefallenen Arbeitskraft existentielle Leistungen auf dem Spiel.

Ein Fachbeitrag von [Anbieter­kenn­zeichnung]

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